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Der Leidenschaftliche

Als der Kunsthistoriker, Publizist und leidenschaftliche Ausstellungsmacher Markus Brüderlin 2006 die Leitung des Kunstmuseums Wolfsburg übernahm, verordnete er dem Haus ein ästhetisches Suchprogramm zur Idee der Moderne im 21. Jahrhundert. Ein forschendes Museum war das Ziel, und in den Themenausstellungen trat die analytische und objektivierbare Argumentation der Exponate neben ihre visuelle, sinnliche, subjektive.

Ein Markstein dieses Vorgehens war dann 2007 die Ausstellung „Japan und der Westen – Die erfüllte Leere“: Brüderlin konfrontierte die ästhetische Produktion Europas und der USA – bildende Kunst, Design, Architektur – mit dem traditionellen Handwerk Japans. In prototypischer Form stellte er die Methode Brüderlin vor: das In-Beziehung-Setzen ganz unterschiedlicher Artefakte und die Reflexion ihrer kulturellen Bedingtheit, das Aufzeigen von Analogien und Differenzen. Demnach ist die Moderne kein exklusives Projekt des Westens, ihre Prinzipien artikulieren sich vielmehr weltumspannend, bloß in jeweils unterschiedlicher Weise.

Geboren wurde Brüderlin 1958 in Basel. Er studierte unter anderem Kunstgeschichte, Philosophie, Germanistik in Wien und Wuppertal, promovierte bei Bazon Brock. Dass er von dessen Speise einer nicht-normativen Ästhetik gekostet hat, ist unverkennbar: Als denknotwendig zu einer These ist immer deren Gegenteil präsent. Durchs Theoriegebäude navigierte Brüderlin vielleicht etwas akademischer als sein lustbetonter Lehrer, was aber die gegenseitige Wertschätzung nicht einschränkte.

Als Brock im Januar für eine Führung durch die letzte große Themenschau „Kunst & Textil – Stoff als Material und Idee in der Moderne“ nach Wolfsburg kam, fehlte sein „Schüler“ – so Brock anerkennend – bereits krankheitsbedingt. Trotzdem kam es unerwartet: Am 16. März ist Markus Brüderlin im Alter von 55 Jahren an seinem Wohnort Frankfurt am Main verstorben. BETTINA MARIA BROSOWSKY

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