Verätzte Atmosphäre

Der Giftmüllskandal von Abidjan weitet sich aus. Die Behörden sind paralysiert, die Presse schürt die Angst der Einwohner

„Nicht näher als 200 Meter herangehen; keine Fische von dort essen“

von DOMINIC JOHNSON

Seit vier Wochen leidet die Vier-Millionen-Stadt Abidjan in der Elfenbeinküste unter einem der weltweit größten Giftmüllskandale, und es ist kein Ende abzusehen. Über 15.000 Menschen mussten sich bereits wegen Vergiftungserscheinungen wie Übelkeit, unerträgliche Kopfschmerzen und Herzbeschwerden in ärztliche Behandlung begeben; jeden Tag stürmen Tausende mehr die Krankenhäuser der Stadt. Die bestätigte Anzahl der Todesfälle liegt bei sechs. Und weil seit dem Rücktritt der gesamten Regierung der Elfenbeinküste am 6. September noch kein neues Kabinett gebildet werden konnte, gibt es keine handlungsfähigen staatlichen Stellen. Die politische Opposition hat sich geweigert, einer neuen Regierung beizutreten, solange die Affäre nicht aufgeklärt ist. Die Elfenbeinküste – ein führungsloses Land, der Angst ausgeliefert.

Die 528 Tonnen hochgiftigen Schlicke, Ölrückstände und Abfälle, die am 19. und 20. August aus dem Frachtschiff „Probo Koala“ im Hafen von Abidjan geholt und danach von der lokalen Entsorgungsfirma „Tommy“ rechtswidrig quer durch Abidjan verklappt worden waren, sind bis heute nicht einmal geborgen worden; die 13 verseuchten Stellen wurden nicht einmal systematisch abgeriegelt. Nur sieben der zehn Tanklastwagen, die das Gift transportierten, wurden bisher gefunden. Selbst die genaue chemische Zusammensetzung des Giftmülls ist noch nicht eindeutig bekannt. Eine französische Expertengruppe, die das untersuchte, hat ihren Bericht zwar der Regierung der Elfenbeinküste vorgelegt, doch wann er veröffentlicht wird, war gestern unklar. Berichten zufolge fordern die Experten die sofortige Bergung des Giftes und seine sachgemäße Entsorgung notfalls im Ausland.

„Das Schlimmste ist vorbei“, sagt Pierre Ngore, Sprecher der humanitären Abteilung der UNO (OCHA) in Abidjan, dennoch gegenüber der taz und behauptet: „Das Ausmaß der Vergiftung ist geringer als zunächst angenommen, weil viele Elemente sich bereits in Luft aufgelöst haben.“ Es liege an den ivorischen Behörden, die verseuchten Stellen zu sichern und zu säubern. Man sensibilisiere die Bevölkerung über die Medien: „Nicht näher als 200 Meter an die verseuchten Stellen herangehen; keine Fische von dort essen und kein Wasser von dort konsumieren; die in den betroffenen Sümpfen angebauten Lebensmittel vernichten.“

Zur Beruhigung tragen solche Aufforderungen nicht wirklich bei. Die gestrigen Titelseiten der Presse Abidjans sind deutlich. „Die Lagune ist vergiftet“, titelt die einstige Regierungszeitung Fraternité Matin unter Verweis auf das Binnengewässer, um das herum Abidjan gebaut ist und von dem viele Bewohner Wasser beziehen. Die Regierung plane die Schließung des Viehmarktes von Abidjan, so das Blatt weiter. Die unabhängige Zeitung Le Jour gibt auf der Titelseite einen angeblich von UN-Experten erstellten Bericht wieder, wonach alle Bewohner Abidjans in den nächsten drei Jahren an Krebs sterben werden, „weil die Konzentration an Schwefelwasserstoffen über den Normen liegt und in Merkur konzentriert ist“.

In Akouédo, wo Abidjans größte Industriemüllkippe liegt, blockierten aufgebrachte Anwohner bereits die Zufahrtsstraße zur Deponie, als der erste Tanklastwagen am 19. August begann, die stinkende Fracht der „Probo Koala“ auszukippen. Einen der Laster kaperten sie, ein anderer musste umdrehen – vielleicht war das der eigentliche Grund, warum die Entsorgungsfirma „Tommy“ hinterher begann, das Gift heimlich nachts woanders abzuladen.

Bis heute ist die Deponie Akouédo von den Anwohnern abgeriegelt, die hoffen, damit 41 Jahren Vergiftung ein Ende gesetzt zu haben – die Müllkippe wurde 1965 angelegt, und die 5.000 Einwohner des Stadtteils klagen seit Jahren über Umweltbelastungen. Wegen der Schließung von Akouédo wachsen wilde, stinkende Müllberge in anderen Teilen Abidjans. Mit UN-Hilfe wollen die ivorischen Behörden nun die gesamte Müllentsorgungspolitik der zweitgrößten Stadt Westafrikas neu ordnen.

Eindeutige juristische Schritte gegen die Verantwortlichen in der Elfenbeinküste fehlen bisher. Mehrere Leiter der Entsorgungsfirma „Tommy“ wurden zwar verhaftet, aber Abidjans Hafenbehördenchef Marcel Gossio, der dem Schiffsbetreiber „Trafigura“ die Lande- und Entsorgungserlaubnis erteilt hatte, konnte sich laut Presseberichten nach Spanien absetzen. Ermittlungsverfahren leitete die ivorische Staatsanwaltschaft allerdings gegen drei leitende Redakteure von Le Jour ein. Die Zeitung hatte berichtet, dass Simone Gbagbo, Frau von Präsident Laurent Gbagbo, im Juli eine der Gründerinnen der Entsorgungsfirma „Tommy“ gewesen sei.

Für radikale Anhänger des Präsidenten Gbagbo wiederum ist der Giftskandal ein willkommener Beweis für die kriminelle Politik Europas gegenüber Afrika. „Tommy“ sei in Wahrheit unschuldig, schreibt die Gbagbo-nahe Presse, weil die Schiffsbetreiberfirma „Trafigura“ die ivorischen Behörden über die Fracht des Schiffes getäuscht hätte. „Trafigura“ wiederum sei von zwei Franzosen gegründet worden und während der UN-Sanktionen gegen den Irak in illegale französische Ölgeschäfte mit Saddam Hussein verwickelt gewesen. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Berichte: Sie kommen, kurz bevor heute Abend auf Anraten Frankreichs UN-Sanktionen gegen zwei hochrangige Gefolgsleute von Gbagbo in Kraft treten sollen, denen vorgeworden wird, den Friedensprozess in dem Land zu blockieren: Parlamentspräsident Mamadou Koulibaly und der Chef von Gbagbos Partei FPI (Ivorische Volksfront), Pascal Affi Nguessan.