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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Wir sind alle immer unterwegs“

Der Schauspieler Tobias Beyer verlässt Bremen und geht ans Staatstheater Braunschweig. Er hofft auf wenig Gegner im SaalKOMMEN ODER GEHEN Theater kann ein Vorgang sein, der Orte transzendiert. Das Schauspielerdasein ist eins, in dem Ortswechsel eine Hauptrolle spielen: Tobias Beyer über lockende Angebote, Abnabelungsprozesse, Ängste und Glücksmomente des Theater-Tourismus

Tobias Beyer, 44

■ Schauspieler, hat an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater studiert, wechselte anschließend von dort in seine Geburtsstadt Berlin, wo er von 1990 bis zu dessen Schließung 1993 Ensemble-Mitglied des Schiller-Theaters war.

■ Über die Stationen Karlsruhe, Göttingen, Mannheim, das Neumarkt-Theater in Zürich und zuletzt Bremen wechselte er zu Beginn der Spielzeit ans Staatstheater Braunschweig, das seit diesem Sommer von Joachim Klement geführt wird.

■ In Braunschweig spielt er seit 23. September den Sir William Sampson in Gotthold Ephraim Lessings Trauerspiel Miss Sara Sampson, Regie und Ausstattung von Anna Bergmann (Termine: 17./23. und 31. 10. Infos: www.staatstheater-braunschweig.de)

INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Beyer, hatten Sie Angst – oder waren Sie eher neugierig auf Braunschweig?

Tobias Beyer: Es war beides. Ich war neugierig, und in Vorfreude, aber gewisse Ängste hatte ich natürlich auch: Wie ist das Publikum? Das gilt ja als konservativ. Der bisherige Intendant hat 13 Jahre dort residiert und mehr als funktionierendes Theater gemacht, also so, dass die Leute hinkamen: Das wird also spannend für das neue Ensemble, gerade im ersten Jahr. Und dann, natürlich: Wie komme ich mit den KollegInnen klar, wie verstehen wir uns, wie können wir miteinander arbeiten?

Und warum verlassen Sie Bremen?

Ich verlasse Bremen nicht ganz. Ich behalte erst mal meine Wohnung, und habe so lange nur eine kleine in Braunschweig – aber vielleicht ist das auch nur so ein Abnabelungsprozess.

Ja, aber warum? Weil das Theater in Bremen durch den Problem-Intendanten in die Krise geraten war?

War das Schauspiel wirklich in der Krise? Da bin ich mir gar nicht so sicher. Es stimmt aber, dass durch das Schulden-Thema alles, was auf der Bühne passiert ist, in ein anderes Licht gerückt wurde.

Und dem entziehen Sie sich durch den Wechsel?

Möglicherweise. Aber ausschlaggebend war für mich die ungeklärte Situation in Bremen. Es stand ja nichts fest, nicht wie lange die Interimslösung dauern sollte, nicht wie und wohin es weitergehen würde – und auch nicht mit wem.

Vom Renommee her ist das kein Aufstieg.

Ich versuche, nicht mehr in diesen Kategorien zu denken.

Sie waren vom Schillertheater Berlin über Mannheim und das Neumarkt-Theater Zürich nach Bremen gekommen. Und Sie waren dort eine von zwei männlichen Hauptrollen des Ensembles, also ein Star, sofern es so etwas im Stadttheater gibt.

Vielleicht kann ich das ja fortsetzen.

In Braunschweig.

Ja, in Braunschweig. Warum denn nicht?

Naja …

Als ich 1994, also ganz am Anfang meiner Laufbahn, vom Schiller-Theater nach Karlsruhe gewechselt bin, war ich noch so eingebildet, dass ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, dass es dort überhaupt ein richtiges Theater gibt. Ich bin da trotzdem gerne hin. Die suchten einen Mortimer und so eine Rolle …

die des jungen Helden aus Schillers Maria Stuart …

… hätte ich damals in Berlin nicht so bald spielen können. Meine Erfahrung ist: Die Engagements, die ich bekommen habe – das war immer ziemlich aufwandslos. Und ich finde auch, dass ich in einem Lebensalter bin, in dem man geholt werden muss – oder eben nicht.

Wie in diesem Fall durch den neuen Intendanten Joachim Klement, den Sie kannten …

… ja, aus Mannheim …

der danach Chefdramaturg in Bremen war …

… und dort weg ist, kurz bevor ich hingekommen bin.

Man trifft immer alte Bekannte?

Ich nenne das gerne Theater-Tourismus: Wir sind alle irgendwie Reisende, immer unterwegs von einem Lager zum anderen. Und dabei trifft man sich hier und da. Worauf ich mich zum Beispiel sehr freue in Braunschweig, ist das Wiedersehen mit Otto Kukla und Crescentia Dünßer, die ich seit Zürich kenne: Wir werden zusammen eine Wiederaufnahme von Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ machen. Das war eine Produktion fürs Alte Schauspielhaus Stuttgart, vor vier Jahren, Crescentia Dünßer und ich in den Hauptrollen, Regie: Otto Kukla.

Den Monstertext haben Sie nach vier Jahren noch im Kopf?!

Dacht’ ich. Ich dachte wirklich: Ich schau mir’s an und kann es dann wieder. Aber das sind wirklich unglaubliche Textmassen! Als ich mir das Buch dann im Juni vorgenommen hatte, war mir erst mal nicht klar, wie ich das seinerzeit habe spielen können. Dabei war mir das damals sehr leicht gefallen.

Wieso?

Das war eine ungewöhnliche Produktion – weil sie so harmonisch war. Sonst heißt es ja: Das ist ein Stück, bei dem werden die Proben zwangsläufig zum Dauerstreit, das ist ja selbst eine einzige Krise. Bei uns gab’s das gar nicht, niemand ist während der Proben krank geworden. Das sagt etwas aus. Otto Kukla war gelungen, dass wir das alles aus uns selbst herausgeholt haben: Wir haben das in einem atemberaubenden Tempo gespielt, fast ohne Anweisungen. Das wird also etwas, da begegne ich alten Freunden wieder.

Lässt sich Theater so einfach verpflanzen?

Die wirklich bewegenden, die ganz, ganz großen Momente wirken wahrscheinlich überall. Und ich glaube, dass es die an vielen Orten in Deutschland geben kann.

Vorausgesetzt das Publikum spielt mit?

Sicher. Wenn da 20 Gegner im Saal sind, wird das schwer. Und das spürt man. Dann ist da eine Spannung, die sich mitteilt, dann wird geächzt oder leise geseufzt, oder permanent gehustet.

Das klingt aber sehr nach einer bürgerlich-neurotischen Idee vom Theater, in dem ein diszipliniertes Publikum andächtig der Kunstübung lauscht. Ist das denn die einzig sinnvolle Schauspiel-Form?

Sicher nicht: Zu Shakespeares Zeiten soll es ja im Publikum so laut gewesen sein, dass Schweigen auf der Szene gar nicht möglich war. Aber beispielsweise einen Ibsen vor einem Wurst-essenden, rülpsenden und brüllenden Publikum, das kann ich mir nur sehr schwer vorstellen. Dagegen anzuspielen wäre schwer. Doch, für mich gehört zum Theater auch diese Bereitschaft, Geld zu zahlen, um sich in einen dunklen Saal setzen zu dürfen und zu schweigen: Ich finde das auch nichts Anstößiges, sondern etwas Tolles, in unserer Zeit, wo alles immer lauter wird und schneller, das Theater als einen Ort der Konzentration und Kontemplation zu haben.

Für die großen Momente?

Wenn das Publikum an jenem Abend gut ist, wenn die Zuschauer wach sind, bereit, offen – dann kann da etwas entstehen, ja.

Für einen Augenblick?

Die berührenden Momente ja: Die sind nur diese Momente. Das ist etwas sehr Wertvolles.

Kann das ein Anspruch sein, auf so einen Moment hinzuarbeiten?

Nein. Das lässt sich nicht zwingen. Wenn man mit dem Vorsatz auf die Bühne geht, jetzt die Vorstellung seines Lebens zu spielen – dann wird das nichts. Man muss aber bereit sein, auch wenn man alle Verabredungen, das Timing, die Betonung, alles genauestens einhält dieselbe Stelle, doch immer wieder so zu spielen, als wäre es das erste Mal. Manchmal hat man dazu auch keine Lust. Da geht man zur Vorstellung und denkt: Ich reiße das heute runter und gut ist. Aber im Laufe des Abends verändert sich das. Die Spiellust setzt irgendwann wieder ein.

Und diese Idee vom erfüllten Moment schwingt als Sehnsuchtsziel immer mit?

Man vergisst das manchmal. Und dann taucht es wieder auf, man hört davon, sieht es bei anderen – oder erlebt es selbst, dass plötzlich alles dahingleitet, wie beim Surfen, dass man sich gegenseitig überrascht, ohne sich zu verunsichern.

Und dabei befindet man sich bewusst auf der Bühne beispielsweise des Staatstheaters Braunschweig – oder schwebt über allen Wolken?

Dieses Surfen ist ein Vorgang, der Orte transzendiert – aber bestimmt keine Ekstase, bei der man sich völlig verliert. Das ist eher wie bei Kindern: Die können ja auch voll drin sein im Spiel, ganz versunken. Die wissen aber immer noch, dass sie im Sandkasten sitzen, und wo der sich befindet.