Krieg ohne Schlacht

KUNST Unterschwelliges Aggressionspotential: Die Gruppenausstellung „The Disasters of Peace“ im Umspannwerk Berlin-Tiergarten

Aktuell propagiert Sebastian Gögel Nietzsches Schnurbart als „schönes Arschgeweih“. Das kann man schrecklich finden, muss man aber nicht

Wie nach einer Kapitulation hängt eine weiße Fahne an der Fassade des ehemaligen Umspannwerks in Moabit: Der Krieg ist aus.

Doch an den großen Frieden glauben die beiden Flaggenhisser und Künstler Jana Müller und Alexej Meschtschanow nicht, ganz im Gegenteil. Auch hier im Frieden haben sie den Krieg entdeckt: „unter der Membran der zivilisierten Umgangsmanieren, hinter den verschlossenen Mienen unserer Alltagsgesichter, hinter den Fassaden der Fabriken, den Türen der Kabinette – wird unaufhörlich gekämpft.“ Deshalb haben Müller und Meschtschanow das von ihnen initierte Gruppenausstellungsprojekt zum Krieg ohne Schlacht in Anlehnung an Goyas berühmten Radierungszyklus „The Disasters of Peace“ genannt.

Dass das ein wenig übetrieben klingt, wissen die beiden Künstler-Kuratoren. „Der Ausstellungstitel ist laut und kitschig“, sagt Meschtschanow beim Rundgang durch die Schau mit den Arbeiten von 16 Künstlerinnen und Künstlern. Doch aus der Luft gegriffen sei die thematische Klammer mit dem Drall ins Kulturpessimistische nicht: viele Künstler widmeten sich in letzter Zeit „mehr oder minder offensiv“ konfliktbeladenen Themen. Unterschwelliges Aggressionspotential verbindet also die verschiedenen Positionen. Und doch franst „Disasters of Peace“ gefährlich an den Rändern aus und fügt sich nicht zu einer konsistenten Ausstellung.

Da sind zum Beispiel die seltsamen Tattoo-Stil-Zeichnungen von Sebastian Gögel, der seine Liebe zur Horror-Folklore und angrenzenden Düster-Bereichen mit Eifer und Eleganz verfolgt. Zur Ausstellung steuert er seine Version eines Tattoo-Standards bei, einem sinistren Pferdekopf mit Blumen und Schmetterlingen, dessen Mythenbesatz bis zu den alten Ägyptern reicht. Fotografien nebenan beweisen: Zeigen sie sich nur willig, tätowiert Gögel jede und jeden. Aktuell propagiert er Nietzsches Schnurbart als „schönes Arschgeweih“. Das kann man schrecklich finden, muss man aber nicht.

Oder die Videoprojektion des in in Berlin lebenden Isländers Egill Sæbjörnsson, dem es gelingt, die Grenzen zwischen Video und Installationskunst zum Schwingen zu bringen. Sæbjörnsson baut ganz einfache Objekt-Projektor-Anordnungen, mit denen er „flache“ Videos in den dreidimensionalen Raum erweitert. Besonders auf Gewalt bezogen wirkt die in Moabit gezeigte Arbeit, in der ein Ast, ein Stein, ein Plastikeimer, ein Holzstück und eine chaotische Autofahrt durch die Pampa von Arizona eine Rolle spielen, jedoch nicht.

Eher tun das schon die fünf, mit schwarzer Stretchfolie umwickelten Mönchs-Figuren von Antje Blumenstein, die stumm zwischen Erstickungsangst und Bondage-Fantasie pendeln oder die fiktive Piratengeschichte von Sven Johne, der in einer Folge von 23 gefundenen Fotografien entführter Frachtschiffe, nach der Geschichte der Besatzungen fragt, die nachts einfach über Bord geworfen wurden.

„Disasters of Peace“ ist vom alten Problem befallen, dass es auf ungenaue Fragen auch nur allgemeine Antworten gibt. Die gute Frage ist letztlich das, was der Ausstellung in der Summe ihrer Teile fehlt. So verbreitet sie nur ein diffuses Unbehagen. Als Künstler-Kurator pflege man „mehr einen partnerschaftlichen als einen konsumierenden Blick“, sagt Meschtschanow. Das klingt für eine Ausstellung über die Schrecken im Frieden erstaunlich harmonisch. KITO NEDO

■ The Disasters of Peace, Gruppenausstellung mit Viktoria Binschtok, Antje Blumenstein, Nathalie Djurberg, Wiebke Elzel, Sebastian Gögel, Sven Johne, Renata Kaminska, Alicja Kwade, Alon Levin, Alexej Meschtschanow, Jana Müller, Regine Müller-Waldeck, Thomas Moecker, Egill Sæbjörnsson, Philip Topolovac, Nasan Tur. Umspannwerk Berlin-Tiergarten, Wilhelmshavener Straße 7, (Tiergarten), 10.30 - 21 Uhr. Bis 10.10. Katalopräsentation: 7. 10. (bis 22.30 Uhr geöffnet) www.the-disasters-of-peace.de