: Im Kampf um Wirrnis
Wie sich Unübersichtlichkeit als Glück begreifen lässt: Christoph Schlingensief kündigt 18 Happenings pro Sekunde an und lässt in Berlin acht Theaterverrichtungsboxen um Lady Di kreisen – „Kaprow City“
VON DIRK KNIPPHALS
Christoph Schlingensief ist ein Recyclingfachmann unter den deutschen Theaterschaffenden.
In seiner Installation „Kaprow City“, die gerade an der Berliner Volksbühne eröffnet wurde, sieht man inmitten all des Plunders und Mülls, der herumliegt, inmitten all der Bilder und Zeichen, die auf jede Wand gemalt sind, auch Richard Wagner (Hinweis auf Schlingensiefs Bayreuth-Inszenierung) sowie Fotos von einem militärischen Flugplatz (übriggeblieben von einer Performance bei Neuhardenberg). Eine Ästhetik des Ansammelns und Ansaugens: alles mitnehmen, was man schon mal gemacht hat, nichts verlorengeben, und immer auf der Suche, was man neu noch dazutun könnte. Die Spannung bei jeder neuen Performance liegt auch darin, zu gucken, wann dieses Paralleluniversum denn nun mal platzt. Irgendwann wird der Mann doch wieder loslassen müssen!
Aber es ist bislang immer noch so, dass Schlingensief Wege findet, mehr und mehr in seine Theaterarbeiten hineinzupacken. Im Grunde soll es diesmal um Lady Di gehen. Sie ist das Neue, das Schlingensief in sein Werk hinzutut – zu den Kaninchen und den Körperbildern, zu seinem Referenzsystem an Größen wie Beuys und Kubrick, Alexander Kluge und Allan Kaprow (der dieses Jahr verstorbene Erfinder des Begriffs Happening, dem der Abend gewidmet ist).
Ausufernd assoziiert sich die Inszenierung also rund um den Popmythos der britischen Prinzessin herum. In einer Endlosschleife läuft ein Video vom Autotunnel, in dem sie starb, ein Schauspieler tritt mit künstlichen Segelohren als Prince Charles auf, Mutter-Töchter-Verhältnisse werden in vielen Varianten beredet; solche Sachen. Mindestens ebenso sehr geht es aber auch um das Experiment einer Überforderung: „18 Happenings in einer Sekunde“ hat Schlingensief angekündigt. Und dabei erwähnte er noch nicht mal, dass das Geschehen gleichzeitig auch noch gefilmt und zu einem Video verarbeitet wird. Es ist schon ein ziemliches Gewusel.
Ein Gewusel mit Programm. „Kein Zuschauer sieht alles“, ruft Schlingensief, bevor es losgeht. Das stimmt. Ein Teil des Publikums sitzt in acht im Ring angeordneten kleinen Räumen, die ständig auf der Drehbühne um ein helles Zentrum kreisen: eine Mischung aus Installationen und Theaterverrichtungsboxen, in denen die Performances stattfinden. Ein zweiter Teil sitzt auf Bänken und schaut sich die kreisenden Boxen von außen an. Und ein dritter Teil sitzt im Theatersaal, wohin die live aufgenommenen Videobilder übertragen werden. Man kann gar nicht überall gleichzeitig sein.
Nur Christoph Schlingensief selbst sah man während der Premiere immer und überall. Als man zufällig neben Thomas Flierl, dem Berliner Kultursenator, zu sitzen kam, sprang Schlingensief auf die Drehbühne, um der Prominenz stolz zu erzählen, dass die Londoner Times wutentbrannt über ihn berichten würde; irgendetwas mit einer Queen, die den Hitlergruß machen soll, haben die britischen Korrespondenten wohl missverstanden. Gleich danach sah man ihn, wie er einer kleinwüchsigen Schauspielerin, die als britische Queen auftrat, das Grüßen des Volkes vormachte. Zehntelsekunden später debattierte Schlingensief mit den Tontechnikern. Ein Mann, wieder einmal mitten drin im Kampf der Wirrnis und der Ordnung, jemand, der Unübersichtlichkeit als Glück begreift.
Man kann sagen: In den Boxen sitzend, hatte man den Eindruck, immer nah dran am Geschehen zu sein, dafür fehlte der Überblick; im Saal dagegen war man zu weit weg, konnte dafür einen Eindruck vom Ganzen erhaschen. So wurde an diesem Abend das Gefühl zentral, gerade andernorts etwas Wichtiges verpasst zu haben. Am Schluss sah man dann einen Mitwirkenden mit einem roten Wollknäuel in der Hand, der behauptete, das sei jetzt der rote Faden des Stücks. Das stimmte aber wahrscheinlich gar nicht. Wäre natürlich auch zu einfach gewesen.
Etwas hat man bei alledem zu viel verpasst: Von Jenny Elvers-Elbertzhagen als Lady Di hätte man gern mehr gesehen. Immer war sie woanders als man selbst. Aber Chancen, sie zu treffen, bestehen ja noch, in einer der nächsten Schlingensief-Performances. Bestimmt recycelt er dabei auch etwas aus dieser Arbeit.