: Ohne Siegestaumel
BRAHMS STATT GLASBRUCH Beim „Einheits-Festkonzert“ stimmte alles: Akteure, Programm und Sponsor
Wer die „Glocke“ trotz der düster gewandeten Polizeikohorten erreichte, die selbst durch die Nebenstraßen des Viertels in Dreierreihen marschierten, hatte doppeltes Glück: Erstens, weil man es rechtzeitig zum „Festkonzert zum Tag der Deutschen Einheit“ geschafft hatte – der auswärts wohnende Kritiker des Weser-Kurier beispielsweise blieb auf der Strecke. Zweitens, weil im Konzerthaus sämtliche Symbole richtig gesetzt wurden. Von der Programmauswahl über die Akteure bis hin zum Konzertsponsor.
Mit dem Berliner Rundfunkchor und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin traten zwei traditionsreiche Ost-Ensembles auf, die musikalisch nahezu perfekt aufspielten. Angemessen war auch, statt Beethoven’scher Jubelchöre – „Heil sei dem, Tag ...!“ – wie anderntags in der Stadthalle, Brahms aufzuführen: Vertonungen von Texten Goethes, Schillers und Hölderlins, die die Unsicherheit des Daseins, die Schwäche des Menschengeschlechts thematisieren – Geworfenheit statt Siegestaumel. Die Firma „Frerichs Glas“, Sponsor des Einheitskonzerts, musste freilich weitestgehend auf die erwartbaren Umsatzsteigerungen durch die begleitenden Demos verzichten.
Ob mit Brahms der Bremer Beitrag zu Musikgeschichte, die Teiluraufführung des „Deutschen Requiems“ im Dom, gewürdigt werden sollte, bleibt dahin gestellt. Klug ist jedenfalls, mit Brahms’ 4. Sinfonie ein weiteres Werk ausgewählt zu haben, das durch seinen wenig fulminanten Schluss zu keinerlei staatstragendem Selbstbestätigungsjubel verführt – ebenso wenig wie das dreifache Pianissimo, in dem der „Gesang der Parzen“ ausklingt.
Marek Janowski schließlich war der richtige Dirigent für dieses spezielle Konzert: Der langjährige Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchesters agiert, abgesehen von seiner berühmten linken Flatterhand, gestisch zurück genommen, geradezu unaufgeregt – und evoziert damit dennoch einen bemerkenswert satten und tiefen Sound. Ein ähnliches Fingerspitzengefühl ist den Konzertveranstaltern zu bescheinigen. HENNING BLEYL