: LIBÉRATION – DIE KRISE
Libération, linksliberale, überregionale Tageszeitung Frankreichs, kämpft um eine Zukunft. Grund sind hohe Verluste. Großaktionär Edouard de Rothschild (38,87 Prozent der Anteile) will bis zum 27. September ein „Projekt der letzten Chance“ vorlegen. Um die zu ermöglichen, soll etwa ein Viertel der 260 Arbeitsplätze in Verlag und Redaktion wegfallen. Über den Einstieg eines neuen Investors wird spekuliert, die FAZ hat unlängst gar Springer ins Spiel gebracht. Die Auflage sinkt. Manche Quellen nennen 135.000, andere nur noch 100.000. Dreiviertel sind Kioskkäufer. Auch die Abonnenten fliehen. Zu besten Zeiten verkaufte man 170.000.
Die Redaktion (18,45 Prozent der Anteile, 160 Arbeitsplätze) fürchtet um die Existenz, aber auch um ihre Unabhängigkeit. Sie hat sich vergangenen Donnerstag im Blatt an die Öffentlichkeit gewandt. Mit einer Leser-Gesellschaft soll das Aus wie auch eine befürchtete inhaltliche Übernahme durch Rothschild verhindert werden. Der hatte im Juni den Redaktionschef Serge July zum Rücktritt gezwungen. July hat Libération 1973 zusammen mit dem Philosophen Jean Paul Sartre gegründet und seither geprägt.
Historische Leistung: Libération, liebevoll Libé genannt, entstand als Redaktionskollektiv aus der Studentenrevolte von 1968. Begann als Alternativblatt von Außenseitern, wuchs heran zum „Leitmedium der Mitterrand-Ära“ (Zeit) und war „eine Generation lang der verlässlichste Gradmesser des Zeitgeistes“ (FAZ, zum 30. Geburtstag). Libération war das Medium, das eine Entwicklung von den Barrikaden über die Desillusionierung bis in die Entscheiderpositionen der Gesellschaft begleitete. Zum anderen erfand man die moderne Zeitung – strukturell und inhaltlich. Flexibel auf Aktualität reagierend, mit Titelthema und Schwerpunktkonzept. Stellte Gellschaftsberichterstattung und -analyse neben Politik, nutzte intelligent die Mittel des Boulevards.
Die Gesamtlage: Der französische Qualitätszeitungsmarkt leidet trotz staatlicher Bezuschussung extrem unter den Veränderungen der letzten Jahre: Anzeigenrückgang, neue Mediennutzungsgewohnheiten, vor allem auch Gratiszeitungen. Die linksliberale Le Monde hat derzeit noch 360.000 Käufer und macht hohe Verluste. Seit 2004 ist der Rüstungs- und Medienindustrielle Arnaud Lagardère Anteilseigner. Der konservative Figaro ist im Mehrheitsbesitz des Rüstungsindustriellen Serge Dassault. Größte und ökonomisch erfolgreichste überregionale Tageszeitung ist das intelligente Sportblatt L’Equipe. Die kommunistische L’Humanité existiert. PU