Barock im Dschungel

BRÜCKENSCHLAG Das Bremer Ensemble „Los Temperamentos“ spielt europäische Musik aus dem 16. und 17. Jahrhundert – und fahndet nach den lateinamerikanischen Spuren darin

Diese Musiker sind Spurensucher. Das, wonach sie Ausschau halten, liegt nicht einfach so im Notenregal. Es muss mühsam herausgefiltert werden. Denn das, was die fünf Mitglieder des Bremer Ensembles Los Temperamentos – allesamt spezialisiert auf Alte Musik – suchen, ist eine Unterströmung: der Einfluss lateinamerikanischer Folklore auf die Musik des europäischen Barocks.

Diese Recherche geht so: Ein kolumbianischer Cellist spielt eine Sonate des holländischen Komponisten Jakob Hermann Klein. Plötzlich strahlt er: Da sei der Joropo-Rhythmus drin, den er aus der kolumbianischen Folklore kenne. Er spielt ihn lauter, es passt gut, und der Cellist argwöhnt, dass die Kombination kein Zufall ist.

Denn das 16. und 17. Jahrhundert, die Zeit also, aus der Los Temperamentos schöpfen, war die Zeit der blutigen Eroberungszüge der Europäer in die „Neue Welt“. Mit dabei hatten die Kolonisatoren auch Kirchenleute und Gelehrte, um die Musik der Indigenen aufzuzeichnen und mitzubringen nach Europa.

Einer dieser Mitreisenden war der spanische Bischof Martínez de Compañón, der bei seinem Tod eine umfangreiche Sammlung hinterließ. Abgesehen davon liegen europäische Barockwerke mit lateinamerikanischen Einflüssen verstreut in allen möglichen Bibliotheken. „Es gibt kein Buch, in dem sie systematisch aufgelistet sind“, sagt die Sängerin Swantje Tams Freier. „Da müssen wir schon viel herumsuchen und ausprobieren.“

Keine streng wissenschaftliche Forschungsmethode also, sondern eine spielerische – und Anspruch auf historische Exaktheit erheben die Musiker nicht: Los Temperamentos spielen europäische Barockmusik und sind außerdem unbefangener im Heraus- oder Hineinlesen harmonischer und rhythmischer Spuren.

Auch die zeitliche Kluft zwischen historisch korrekt aufgeführter Barockmusik und heutiger Folklore lösen sie leichtfüßig auf: Letztere werde „heute noch so musiziert wie vor Hunderten von Jahren“, sagt Tams Freier. „Sie ist nicht weniger historisch als unser Barock-Spiel.“  PS

■ CD-Releasekonzert: Sa, 22. März, 20 Uhr, Hamburg, Anglikanische Kirche