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Archiv-Artikel

Viel Wut und jede Menge Schnaps

STAIGER UND SEIN BUCH

Ist das jetzt Scripted Reality oder reale Science-Fiction?

Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt. So zumindest sehen das die meisten Menschen und ergeben sich dann eben doch irgendwann den sogenannten Umständen. Man kann ja eh nichts tun.

Marcus Staiger, ehemaliger Labelchef des Royal Bunkers (laut Meinung des Autors die entscheidende Keimzelle für deutschen Rap überhaupt), Journalist, Industriekletterer, Moderator, Hobby-Ringer, unaufgeregter Marxist und – wie es jemand ausdrücken würde, der sprachlich vor 50 Jahren hängen geblieben ist – ein Hansdampf in allen Gassen, ist das lebende Gegenbeispiel.

Staiger, wie er in Fachkreisen nur genannt wird, ist Idealist, glaubt an das Gute im Menschen, hat jedoch genug gesehen, um zu wissen, dass man meistens enttäuscht wird. Diesen Eindruck musste man zumindest über die Jahre gewinnen. Dementsprechend heißt sein Debütroman auch „Die Hoffnung ist ein Hundesohn“ und spielt, ganz im Sinne von Robert Harris’ „Vaterland“, in einer Gegenwart, die sich anders entwickelt hat.

Dieses Szenario stellte er diese Woche in der Kreuzberger Fahimi Bar am Kottbusser Tor vor, zwischen Moscheen und Hipster-Clubs – eine gute Wahl, denn auch in seinem Buch wird nicht an aufeinanderprallenden Welten gespart: Kohl regiert immer noch, das Massaker von Peking fand in der DDR statt, ein Rechtspopulist läuft durch das komplett zum Ausländerghetto mutierte Neukölln und erschießt vermeintlich drogendealende Migranten, ein Paar vergnügt sich im Bett, während Innenminister Kotsch (ehemals hessischer Ministerpräsident) im Fernsehen spricht, seine Reden setzen sich aus Zitaten Sarrazins und Goebbels’ zusammen, es gibt den „Ariernachweis“ wieder, und mittendrin bewegen sich die fünf Protagonisten, erdrückt von den Realitäten.

Generell wird viel mit Zitaten gearbeitet, historische Ereignisse werden an andere Orte versetzt, man spürt all die Einflüsse und biografischen Highlights ebenso wie die Wut über aktuelle Zustände in fast jeder Zeile. Ist das jetzt Scripted Reality oder reale Science-Fiction? Egal, am stärksten ist der Roman immer dann, wenn Staiger bei sich bleibt, ohne gleich die ganze Welt miteinbeziehen zu wollen oder zu viele Geschichten auf einmal zu erzählen.

Nach der gut besuchten Lesung geht es in die angrenzende Palomabar, es gibt jede Menge Schnaps, und bis in die Puppen wird diskutiert, getanzt und vor allem getrunken. Trotzdem entdeckt man Staiger am nächsten Mittag am Kottbusser Tor, wo sich Bundespräsident Gauck auf Imagetour herumtreibt und medienwirksam einen Döner verspeist, um sich mit Migrantenverbänden gut zu stellen. Thats Staiger. JURI STERNBURG