piwik no script img

Archiv-Artikel

Müssen Eliten Vorbilder sein?JA

MORAL Abschreiben, Steuern hinterziehen – womöglich auch noch falsch parken: Am oberen Rand der Gesellschaft ist auch nicht alles eitel Sonnenschein

Nächste Frage

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.

Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.

www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune

Claudia Roth, 58, war bis 2013 Bundesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen

Natürlich müssen Eliten Vorbilder sein. Sie können sich das aber auch gar nicht anders aussuchen. Deswegen erwarte ich auch von Personen, die herausgehobene Positionen besetzen oder der sogenannten Elite zugerechnet werden, dass sie sich ihrer besonderen Verantwortung im Umgang mit dem Gemeinwohl und rechtsstaatlicher Normen bewusst sind und dementsprechend auch danach handeln. Doch Personen in der Öffentlichkeit sollten diese Integrität nicht nur als den schönen Teil eines Doppellebens vor sich hertragen – während sie privat womöglich Steuern hinterziehen oder gewalttätig sind. Für mich gehört es zur Vorbildfunktion, dass sich Tun und Sagen nicht widersprechen und dass bei Fehlverhalten keine Sonderrechte gelten. Trotz allem sollten Eliten dabei aber auch Menschen bleiben dürfen, mit Schwächen und Fehlern und Launen und Eigenarten. Dazu offen zu stehen, kann übrigens auch sehr vorbildlich sein.

Wolfgang Grupp, 71, ist Unternehmer und Inhaber der Textilfirma Trigema

Wer sich zur sogenannten Elite zählen will oder durch das Anstreben einer sehr hohen Führungsposition automatisch zu dieser gezählt wird, muss unweigerlich auch eine entsprechende Vorbildfunktion einnehmen. Tut er dies nicht, darf er sich dann auch über entsprechende Kritik nicht wundern. Man darf im Leben schließlich nicht mit Selbstverständlichkeit Vorteile nutzen wollen, aber die damit verbunden Verpflichtungen gegenüber unserer Gesellschaft einfach außen vor lassen. Deshalb galt in der Geschichte auch schon immer der Satz: Adel – Reichtum –verpflichtet!

Bernd Westermeyer, 41, ist Leiter des Elitegymnasiums Schloss Salem

Die Frage erlaubt mir ein glasklares Ja! Meiner Meinung nach verdienen nämlich nur jene Menschen das Prädikat „Elite“, die im Kleinen wie im Großen als Vorbilder wahrnehmbar sind. Sei es, weil sie im Alltag in besonderer Weise soziale Verantwortung übernehmen, weil sie nicht nur für sich selbst, sondern auch zum Wohle anderer herausragende Leistungen erbringen oder weil sie ihren persönlichen Überzeugungen selbst innerhalb repressiver Systeme mutig treu bleiben. Die Schule Schloss Salem wird oft als „Eliteschule“ bezeichnet. Als Kompliment von Seiten kundiger Dritter freut mich diese Einschätzung, obschon unsere Schülerinnen und Schüler natürlich erst nach dem Abitur oder dem Interantional Baccalaureate wirklich beweisen können, dass sie in Salem zu authentischen Persönlichkeiten gereift sind, die als Weltbürger zupackend und kompetent Verantwortung übernehmen.

Thomas Hanitzsch, 44, ist Professor für Kommunikationswissenschaften

Eliten sollten Vorbilder sein. Die Zugehörigkeit einer Person zur gesellschaftlichen Elite ergibt sich schließlich auch aus einer anerkennswerten Leistung, zumeist erbracht in einem bestimmten Bereich, etwa in Kultur, Wissenschaft oder Sport. Das unterscheidet den Elite-Status auch von Prominenz – Letzteres ist eine Zuschreibung der Medien. Teil der Elite zu sein ist eine Anerkennung, die mit der Verantwortung einhergeht, als Vorbild in die Gesellschaft hinein zu wirken. Nicht alle Elite-Persönlichkeiten werden dieser Rolle gerecht – womit sie ihrem eigenen Ansehen und nicht zuletzt dem Image einer ganzen Berufsgruppe schaden – etwa Finanzmanager und Wissenschaftsplagiatoren.

Nein

Klaus Lederer, 39, ist seit 2007 Berliner Landesvorsitzender der Partei Die Linke

Nein, ganz klar! Es ist doch beruhigend zu erleben, wie Vertreter*innen sogenannter Eliten durch ihr wenig vorbildhaftes Verhalten das an sich fragwürdige Konzept „Elite“ gehörig konterkarieren. Denn das ist ja nur das Selbstbild gesellschaftlich privilegierter Schichten, die über Macht und (beziehungsweise oder) Geld verfügen: dass sie aufgrund überlegener Fähigkeiten, Leistungen oder moralischem Abstand „über der breiten Masse“ stünden und zu deren Führung berufen seien. Wenn diese angebliche Überlegenheit sich dann letztlich nur als besondere Befähigung zu Betrug und Schwindelei demaskiert, delegitimiert sich in begrüßenswerter Weise auch der Herrschaftsanspruch unserer sogenannten Eliten. Aus emanzipatorischer Sicht kann das doch nur als Fortschritt betrachtet werden.

Moritz Müller, 21, ist taz-Leser und hat den sonntaz-Streit per Mail kommentiert

Eliten oder Berühmtheiten besitzen unsere Aufmerksamkeit ausschließlich, weil wir sie ihnen geben. Verdient ein Nelson Mandela diese Aufmerksamkeit? Ja! Verdient sie ein Politiker, welcher unsere Interessen vertritt? Wahrscheinlich auch. Aber verdient sie auch der grausame RTL-Schauspieler, der unsere Jugend verdummen lässt? Nein. Wir müssen uns einfach von Anfang an bewusst machen, wem unsere Gedanken gelten sollen und wem nicht. Und verliert diese Person ihre Vorbildfunktion durch illegale oder ethisch inkorrekte Verhaltensweisen, muss uns nur bewusst sein, dass wir es mit normalen Menschen zu tun haben, die unsere Aufmerksamkeit nicht mehr verdient haben. „Augen auf!“ gilt also nicht nur bei der Partnerwahl, sondern auch bei der Promiwahl.

Andreas Ohm, 44, ist Webdesigner und hat den Streit auf Facebook kommentiert

Eliten glauben sich über das normale Publikum stellen zu dürfen, weil sie meinen, es sich leisten zu können. Wir haben aus der Geschichte – zum Beispiel des Feudalismus – gelernt, dass Eliten (früher Adelige) es mit der allgemeinen Bevölkerung nicht immer gut gemeint haben. Man wird umso mehr zur Elite, je mehr man sich von dem nimmt, was Infrastruktur und Gesellschaft bereitstellen. Eliten schotten sich ab, Eliten beschäftigen sich in ihrer Sphäre nur mit ihresgleichen. Der Knigge als Handbuch der künstlichen Höflichkeit kann die subtilen Alltags-Unhöflichkeiten nicht verdecken. Ich kenne keine Vorbilder aus deren Reihen.

Rainer Winters, 45, ist Autor und Student und hat den Streit per Mail kommentiert

Eliten zeigen uns als (Vor-)Bilder immer nur einen gut gebürsteten Ausschnitt des Ganzen. Mir reicht eine Betrachtung ihrer jeweiligen Funktion. Arjen Robben soll nur für seinen Fußball bewertet werden; Josef Ackermann für die gesellschaftlichen Konsequenzen seiner Spekulationsgeschäfte. Wichtiger erscheint mir aber die Wirkung der Eliten und ihrer Taten auf uns. Wir bejubeln die Eliten, damit wir uns auf dem Kissen ihrer Strebsamkeit ausruhen können. Eine zunehmend schwierige Welt und unsere dekadente Arroganz erstickt unseren notwendigen Tadel. So werden die Eliten zum Spiegel unserer Eitelkeit und materiellen Erwartungen. Unsere eigene Schnelllebigkeit macht uns blind für einen zukunftstragenden Blick auf die Ausgewählten. Nutzen sie unsere kulturellen Errungenschaften und leben nach den Tugenden, für die wir uns rühmen? Im Paradies gibt es keine Pünktlichkeit.