: Mehr Beratung bei Spätaborten
Die Fraktionschefs von CDU und SPD sprechen heute in einem Treffen mit Kirchenvertretern über eine Verschärfung bei „Spätabtreibungen“ jenseits der 23. Schwangerschaftswoche. Union und Bundesärztekammer wollen Einschränkungen
VON COSIMA SCHMITT
Die Frau hat sich auf ihr Kind gefreut. Monatelang hat sie geglaubt, dass in ihr ein gesundes Baby heranreift. Dann aber erfährt sie beim Ultraschall: Der Fötus ist behindert. Auf einmal muss sie abwägen: Lässt sie kurz vor der Geburt ihr Kind noch abtreiben? Oder fühlt sie sich stark genug, das Baby großzuziehen und bestmöglich medizinisch behandeln zu lassen?
Wie ein solches Dilemma künftig juristisch behandelt werden soll, wollen heute die Fraktionschefs von CDU und SPD in einem Treffen mit Spitzenvertretern der Kirchen beraten. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob das Recht zur sogenannten Spätabtreibung verschärft werden soll.
Streng genommen ist jede Abtreibung „spät“, die jenseits der gesetzlich vorgesehenen Dreimonatsfrist stattfindet. Im Zentrum der Debatte aber stehen Aborte, die nach der 23. Woche erfolgen. Denn ab dann könnte das Kind außerhalb des Mutterleibs überleben.
Ein Massenphänomen sind späte Abtreibungen nicht. Laut Statistischem Bundesamt gab es 2005 lediglich 171 Abtreibungen nach der 23. Woche. Experten vermuten allerdings, dass daneben eine Dunkelziffer existiert.
Extrem späte Abtreibungen sind auch deshalb selten, weil Fehlbildungen meist schon früher erkannt werden. Die zweite Ultraschalluntersuchung findet in der Regel zwischen der 18. und 22. Woche statt. Nur wenn dann noch einige Zeit vergeht, bis die Diagnose gesichert ist und die Frau sich entschieden hat, ist der Embryo zur Lebensfähigkeit herangereift.
Dennoch versucht die Union schon seit Jahren, die Gesetzesnormen zu verschärfen. Sie will den Frauen zumindest eine mehrtägige Bedenkzeit und eine Pflichtberatung – wie sie bei fristgerechten Abtreibungen üblich ist – vorschreiben. Auf ihr Drängen hin steht im Koalitionsvertrag die Zusicherung, die Situation bei Spätabtreibungen zu überprüfen. Johannes Singhammer (CSU), familienpolitischer Sprecher, fordert, „das Abtreibungsrecht zu reformieren“.
Rückendeckung erhält er jetzt von der Bundesärztekammer. Pünktlich zum Spitzentreffen präsentiert sie der Koalition einen Entwurf, in dem sie zwei Gesetzesänderungen vorschlägt. Zum einen rät sie zu einer dreitägige „Zeit des Überdenkens“. Vor allem aber will sie die Entscheidungshoheit der Mütter eingrenzen. Spätabtreibungen bei Embryonen, die außerhalb des Mutterleibs wohl lebensfähig wären, sollen nur noch unter bestimmten Bedingungen nicht rechtswidrig sein. Die jetzige Regelung ist da toleranter: Seit der Reform des Paragrafen 218 im Jahr 1995 dürfen Frauen bis kurz vor der Geburt abtreiben, wenn ihre körperliche oder seelische Gesundheit gefährdet ist.
Setzt sich die SPD durch, wird sich daran auch nichts ändern. Ihre Argumentation: Frauen, die mit einer derart schrecklichen Diagnose konfrontiert sind, sollen nicht noch mit formalen Pflichten drangsaliert werden. „Wir können uns gut vorstellen, einer dreitätigen Wartezeit zuzustimmen“, sagt etwa SPD-Familienpolitikerin Christel Humme der taz. Grundsätzlich aber seien die „gesetzlichen Regelungen völlig ausreichend“. Sinnvoll sei es vielmehr, den Frauen ein besseres Netz an psychosozialer Beratung anzubieten.
Auch Klaus Vetter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, „kann mit der jetzigen Regelung leben“. Er habe zwar nichts gegen „Feinjustierungen“, bezweifelt aber, dass sich dadurch im Arztalltag viel ändert. „Die Praxis ist doch so: Jeder vernünftige Arzt versucht die Frau umfassend zu beraten“, sagte er der taz. „Diese wiederum spricht mit dem Partner, mit Freundinnen oder einem weiteren Arzt. Eine solche Entscheidung fällt keine Frau mal eben so in der Kaffeepause.“