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Archiv-Artikel

Sozialistische Trauergemeinde

Mit Rot-Rot weiter regieren? Oder lieber doch opponieren? Die PDS will aus ihrer „schweren Niederlage“, so Lothar Bisky, keine Prinzipienfrage machen

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Es war nicht so, dass die Linkspartei nach zwei für sie wenig erfreulichen Landtagswahlen gar nichts zu feiern hatte. Oskar Lafontaine war am Sonnabend 63 Jahre alt geworden, diesen Anlass nutzte die Linksfraktion im Bundestag, um am Montag Vormittag ein paar Lobeslieder auf ihren großen Vorsitzenden zu singen. Das hellte ein wenig die Stimmung auf, aber die großen Fragezeichen, die die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern den Genossen hinterlassen hatten, konnte auch die kollektive Party nicht vertreiben.

Es war ja auch mehr als nur irgendeine Wahlschlappe für die Linkspartei.PDS. Es waren zwei brutale Keulenschläge für die kollektive Identität der Ostpartei, die seit über 15 Jahren darum ringt, als ernsthafter Faktor der bundesdeutschen Politik wahrgenommen zu werden. Und jetzt verfehlte sie ausgerechnet in den Ländern ihre Wahlziele, in denen sie an der Regierung beteiligt ist. In Berlin erhielt sie nur noch 13,4 Prozent; fünf Jahre zuvor waren es mit Gregor Gysi als Spitzenkandidat noch stolze 22,7 Prozent gewesen. In absoluten Zahlen ausgedrückt erschien das Debakel noch größer: Von den ehemals 366.000 Stimmen blieben der Linkspartei.PDS 185.000 – gerade mal die Hälfte. Von ihren 32 Direktmandaten verlor sie sage und schreibe 18. In Mecklenburg-Vorpommern konnte die Partei gegenüber 2001 zwar um 0,4 Prozent zulegen und erreichte 16,8 Prozent. Aber die internen Erwartungen – ein Ergebnis um die 20 Prozent – erfüllten auch die norddeutschen Genossen nicht.

So war die Stimmung am Tag danach noch schlechter als die Lage. Parteichef Lothar Bisky sprach nach der Vorstandssitzung unumwunden von einer „schweren Niederlage“ und guckte dabei drein, als habe der Bundestag gerade die Zwangsauflösung der PDS beschlossen. Neben ihm standen Harald Wolf und Wolfgang Methling, die Spitzenkandidaten der Partei. Ihre ausdruckslosen Gesichter passten perfekt zu dieser sozialistischen Trauergemeinde. Den dreien war klar, was jetzt auf die PDS zukommt: ihre Lieblingsdebatte. Mehr Opposition oder doch lieber regieren?

Seit Jahren quält sich die Partei mit dieser Frage, und obwohl sie in Schwerin acht und in Berlin vier Jahre nicht unerfolgreich an der Macht war, hat sie sie für sich selbst nicht klar beantwortet. Die bevorstehende Fusion mit der WASG zur Linkspartei gibt der Diskussion zusätzlichen Auftrieb. Kann eine Partei, die von sich behauptet, eine Alternative zu allen anderen Parteien zu sein, im Bund den antineoliberalen Outlaw geben und in den Ländern ihrer Klientel harte Beschlüsse in der Wirtschafts-, Bildungs- und Sozialpolitik zumuten?

Sie kann, sagt Oskar Lafontaine – vorausgesetzt, sie macht es richtig. Und richtig heißt bei ihm: keine unsoziale Politik, keine Privatisierungen von Verkehrsbetrieben oder kommunalen Wohnungsunternehmen. Lafontaine erläutert seine Positionen an diesem Montag Morgen den Journalisten gern noch einmal bei einem Frühstück. Das allein ist schon bemerkenswert, hat doch der Linksfraktionsvorsitzende mit den Landtagswahlen nicht allzu viel zu tun, außer, dass er einfaches Mitglied der Partei ist, um die es hier geht – der PDS.

Nach Lafontaines Ansicht ist insbesondere das Ergebnis in Berlin „sehr unbefriedigend“. Dennoch wolle er den Genossen keine Empfehlung geben. Die PDS habe sowohl in Berlin als auch in Mecklenburg-Vorpommern gezeigt, dass sie regieren könne. Das heiße aber nicht, dass sie immer regieren müsse. Eine Regierungsbeteiligung sei für ihn keine prinzipielle Frage. Sie hänge allein davon ab, was man in Koalitionsverhandlungen herausholen könne. Das Ergebnis in Berlin habe außerdem gezeigt, dass es nichts bringe, wenn WASG und PDS gegeneinander anträten. So oder so ähnlich sagen das an diesem Tag fast alle Spitzenleute der Linkspartei. Sie gucken dabei nur nicht so entspannt wie Lafontaine. Es scheint, als habe die Berliner Wahl dem Strategen Lafontaine in die Hände gespielt. Jetzt hat er den Beweis dafür, das die Linken an der Regierung der SPD nicht zu weit entgegenkommen dürfen. Lafontaine hat immer deutlich gemacht, dass er einige Entscheidungen der Berliner PDS für falsch, weil unsozial hält. Lafontaine läuft beim Frühstück zur Hochform auf. Seine Bemerkungen über SPD-Chef Kurt Beck, der am Vortag von einem „Lafontaine-Malus“ gesprochen hatte, sind von so großem Unterhaltungs- und Beleidigungswert, dass Lafontaine sie lieber nicht gedruckt sehen möchte.

Bisky ist bei seiner Pressekonferenz bedächtiger. Dass eine Fortsetzung der rot-roten Koalitionen in beiden Ländern möglich ist, bezeichnet er als „gut“. Ob es dazu komme, würden die Landesverbände allein entscheiden. Einen Hinweis, wovon die Entscheidung abhängt, gab der Parteichef. Wenn die große Koalition im Bundesrat eine Zweidrittel-Mehrheit erringe, dann sei die Bundesrepublik „ein anderes Land“. Bisky stellte auch seine Ratlosigkeit offen aus. Er könne „bis jetzt“ nicht erklären, warum die PDS vor allem bei ihrer Stammklientel in Ostberlin so deutlich verloren habe – vor allem an die Nichtwähler.

In der Vorstandssitzung waren nur vereinzelte Stimmen zu hören, die von der Partei eine entschiedenere Protesthaltung in grundsätzlichen Fragen forderten. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch hingegen machte sich zum Sprecher der Realos. Er will auf dem Parteitag der mecklenburgischen PDS am Wochenende für eine Fortsetzung von Rot-Rot plädieren. „Wir brauchen diese Option“, sagte er, „schon allein aus bundespolitischer Sicht. In der Regierung haben wir schließlich mehr gelernt als in der Opposition.“