: Die Rückkehr der Nichte
AUSSTELLUNG Im Paula-Modersohn-Becker-Museum wird mit Elfriede Stegemeyer eine vielseitige und zu Unrecht unbekannte Pionierin der Moderne gewürdigt, die auch familiäre Bande zum Haus hat
Es ist – und das ist das einzig bedauerliche an dieser Ausstellung – keine Retrospektive geworden. Dafür ist sie zu klein, dafür fehlen zu viele Aspekte des Werkes und der Persönlichkeit. In „Elfriede Stegemeyer – elde steeg. Doppelleben einer Avantgardistin“ im Paula-Modersohn-Becker-Museum (PMBM) geht es nur: um Strukturen. Und doch ist diese Ausstellung die erste, die Stegemeyers Fotos, Gemälde, Zeichnungen und filmisches Schaffen zusammenbringt. Es ist auch die erste unter dem Direktor Frank Laukötter, der im November antritt. Als Kuratorin fungiert die kommissarische Leiterin Verena Borgmann.
Das PMBM hat einst eine von Stegemeyers ersten Einzelausstellungen gezeigt. 1959 war das, als die Künstlerin, hier als „Pionierin der Moderne“ gefeiert, schon jenseits der 50 war. Dabei sind ihre Beziehungen zur Böttcherstraße vielfältig. Ludwig Roselius, Erbauer derselben und Erfinder des Kaffee HAG, war Stegemeyers Onkel. Und ihr Vater wurde 1913 technischer Direktor in dessen hiesiger Fabrik, als Stegemeyer fünf Jahre alt war. 16 Jahre wird sie dann in Bremen bleiben – und sich später stets von ihrer großbürgerlichen Provenienz zu emanzipieren versuchen. Wirtschaftlich wie politisch: Während Roselius Nationalsozialist war, engagiert sich Stegemeyer für die „Roten Kämpfer“, eine während der Weimarer Republik gegründete, rätekommunistisch orientierte Widerstandbewegung in Nazi-Deutschland. 1941 wird sie von der Gestapo verhaftet, aber mangels Beweisen frei gelassen.
Künstlerisch lässt sie sich Zeit ihres Lebens keiner Richtung so recht zuordnen. Zunächst bewegt sie sich in dadaistischen Kreisen, arbeitet aber als Fotografin im Stile der Neuen Sachlichkeit. Als Ende des Krieges fast ihr gesamtes Werk zerstört wird, legt sie sich ein Pseudonym zu und malt. Manches erinnert dann an den abstrakten Expressionismus Kandinskys, doch sie experimentiert (das zeigt die Schau aber nicht) auch mit Surrealistischem, schreibt Gedichte, Theaterstücke. Und macht Filme. Einer ist hier zu sehen. Bei der Premiere wurde er ausgebuht, die Biennale gab ihm 1956 ein „wertvoll“.
Geld verdiente Stegemeyer nach dem Krieg unter anderem als Illustratorin, etwa von Biologiebüchern. Doch, das passt sogar gut. Denn im Kern kreist Stegemeyers Werk, bei aller Varianz der Ausdrucksmittel wie -formen bis zu ihren Tode 1988 stets um strukturelle Analogien, um Vernetzungen von Natur und Technik. Manches, was auf den ersten Blick ungeordnet, ja: chaotisch daher kommt, eröffnet bei näherem Hinsehen den mikroskopischen Blick auf Zellstrukturen. Die Frage hinter all ihren gezeigten Arbeiten ist dieselbe: Sind sich Kunst und Natur nicht im Grunde sehr ähnlich? Jan Zier
Eröffnung: Sonntag, 11.30 Uhr