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Archiv-Artikel

Ökologisch und preiswert

AUTONOM Vor zehn Jahren entstand in Hamburg das erste autofreie Wohnprojekt. Die anfängliche Euphorie scheint verblichen zu sein. Weitere Vorhaben in Planung

Es gehe nicht nur um autofreies Wohnen, sondern auch um ein gutes Miteinander, sagen die Bewohner

VON HASMIK EPISKOPOSIAN

Gefragt nach der autofreien Wohnanlage zucken die Passanten in der Saarlandstraße ratlos mit den Schultern. „Was ist das?“, fragt einer der Vorübereilenden. Tatsächlich ist die kleine Idylle in Barmbek-Nord, die im September ihr zehnjähriges Jubiläum feierte, hinter einer im Bau befindlichen, nicht autofreien Siedlung an der Straße kaum sichtbar. Das autofreie Quartier liegt lärmgeschützt hinter dem Neubauriegel. An zwei Seiten ist es von Wasser umgeben – dem Stichkanal im Osten und dem Osterbekkanal im Süden.

Die Bewohner der Wohnanlage stehen bereits morgens früh mitten im Tag. Kinder spielen ungefährdet vor der Haustür. Einige Bewohner sind mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs. Sie kennen sich alle, grüßen sich, plaudern miteinander.

Margrit Georgescu arbeitet in dem kleinen Garten vor ihrer Wohnung, bevor sie zur Arbeit geht. Die Nachbarskinder Johannes und Sophia helfen mit. Die 49-Jährige lebt seit einem Jahr in dem Quartier und sagt: „Es wird immer schöner hier.“ Das eigene Auto habe sie bereits vor Jahren abgeschafft und sich für ein ökologisches Leben entschieden. An der Saarlandstraße gehe es aber nicht nur um autofreies Wohnen, sondern auch um ein gutes nachbarschaftliches Miteinander.

Das von dem Verein „Autofreies Wohnen“ initiierte autofreie Wohnprojekt gilt bundesweit als ein Modellvorhaben. In rund 170 Wohnungen leben hier etwa 400 Menschen. Eine zweite, kleinere Siedlung wurde 2008 in Klein Borstel fertiggestellt.

Die Bewohner beider Siedlungen haben sich verpflichtet „kein Auto zu besitzen und keines dauerhaft zu nutzen“, sagt Rose Scharnowski, Geschäftsführerin bei Autofreies Wohnen. Sie hielten sich auch daran. Der Vorwurf, ihre Mitglieder würden ihr Auto um die Ecke parken, sei ein Vorurteil. Es gebe Menschen, die sich nicht vorstellen könnten, dass andere kein Auto fahren, sagt Scharnowski. „Dabei ist es kein Geheimnis, dass in Hamburg etwa 40 Prozent der Haushalte autofrei sind.“

Zu dem Modellcharakter des Wohnprojekts an der Saarlandstraße gehört auch, dass die Baubehörde eine bislang einmalige Quote von 0,15 Stellplätzen pro Wohnung genehmigte. Normalerweise ist ein Stellplatz vorgeschrieben. Was an Platz und Geld für die Parkplätze gespart wird, kann in Wohnqualität investiert werden. So gibt es statt Parkplätzen großzügige Grünflächen, Mietergärten, Spielplätze für Kinder, einen Bootsanleger und viel Platz für Fahrräder.

Nicola Kruse wohnt seit zehn Jahren in der Saarlandstraße. „Das war mit Sicherheit eine der besten Entscheidungen meines Lebens“, sagt die 42 Jahre alte Mutter zweier Kinder. „Für die Kinder ist es einfach total schön hier zu leben.“ Neben der Idee des autofreien Wohnens habe sie außerdem die Möglichkeit überzeugt, an der Gestaltung des Grundrisses aber auch der Außenanlagen teilzunehmen. Außerdem sei das Wohnprojekt komplett selbstverwaltet, sagt Kruse.

Das autofreie Leben würde sich jedoch weit weniger angenehm und problemlos gestalten lassen, wären die Wohnanlagen nicht entsprechend gut an den öffentlichen Personennahverkehr angebunden. Die Nähe zum Stadtpark und zu den Zentren in Barmbek und Winterhude machen das Quartier zu einem idealen Ort für ein Leben ohne Auto. Da sei es überhaupt nicht schwer, auf das Auto zu verzichten, sagt die 42-Jährige.

In Hamburg existieren laut Stadtentwicklungsbehörde derzeit keine weiteren autofreien Projekte. Die für die Flächenvergabe zuständigen Bezirksämter begrüßen solche Initiativen. Autofrei zu leben, sei eine freiwillige Entscheidung. Projekte hingen vom Interesse der Bauherren ab, sagt Sorina Weiland, Sprecherin beim Bezirksamt Hamburg-Mitte. „Es wird nur darauf eingegangen, wenn der Wunsch besteht.“

Manchmal bestimme jedoch das Angebot die Nachfrage, findet Martina Gregersen, verkehrspolitische Sprecherin der GAL. „Es ist natürlich einfacher, wenn sich schon Interessenten zusammengefunden haben, die ein solches Projekt realisieren wollen. Andererseits können sie sich auch dann zusammenfinden, wenn sie wissen, dass eine geeignete Fläche zur Verfügung steht.“ Es gebe jedoch immer Flächen, die auf ihre Eignung für autofreie Wohnanlagen geprüft werden sollten, denn solche Projekte machten Wohnungsbau billiger.

Dass in Hamburg außer den zwei Siedlungen keine anderen existieren, bedeute nicht der Tod des einstigen Erfolgsmodells, sagt Vereinsgeschäftsführerin Scharnowski. „Die Nachfrage ist groß, daran liegt es nicht“, behauptet sie. „Wir können den bestehenden Bedarf nicht befriedigen.“ Das Problem sieht Scharnowski in der Vergabe der Grundstücke. „Wir haben um beide Grundstücke lange kämpfen müssen.“ Mit diesem Problem seien jedoch alle Baugemeinschaften konfrontiert.

Nichtsdestotrotz sei ein neues Projekt in Altona geplant. „Wir haben erwirken können, dass in der Koalitionsvereinbarung ein Passus aufgenommen wurde, der sichert, dass ein Teil des umgestalteten Bahnhofsgeländes autofrei entwickelt wird“, sagt Scharnowski.

Eine weitere Siedlung ist laut Angela Hansen, Leiterin der städtischen Agentur für Baugemeinschaften, in der Ifflandstraße in Hamburg-Nord geplant. Auf einer ehemaligen Schulfläche sollen rund 100 Wohnungen entstehen, 60 davon autofrei. Gebaut werden soll ab 2013.