: Und sie leuchten doch
An einem privaten Neusser Institut forscht ein internationales Team um den Biophysiker Fritz-Albert Popp an der rätselhaften Strahlung in Zellen. In Indien und China gilt Popp als Visionär, in Deutschland als Scharlatan – aber ein beharrlicher
VON SIMON KARSTEN
Vielleicht ist er ja so jemand wie Galileo Galilei. Zumindest gibt es einige Parallelen zwischen dem genialen Italiener und Fritz-Albert Popp. Bis heute hat er trotz deutschlandweiter Häme seine Theorien nicht widerrufen: Er hält an seinen Ergebnissen fest, seine Halsstarrigkeit hat ihn 1980 seine Professur in Marburg gekostet und das Karriereende in der institutionalisierten Wissenschaft in Deutschland bedeutet. Inzwischen bezahlt die Lebensmittelindustrie seine Stelle: Popp leitet das Internationale Institut für Biophysik in Neuss, international ist er einer der meist diskutierten Wissenschaftler, von deutschen Forschungseinrichtungen wird er ignoriert.
Vielleicht weil auch seine Theorien das Potenzial zum Dogmenwechsel haben, der vor allem Biochemiker zu Statisten bei der Lösung des Rätsels des Lebens degradieren könnte. Vor drei Jahrzehnten machte Fritz-Albert Popp eine Entdeckung, für die er eigentlich den Nobelpreis erwartet hatte: Ein ganz schwaches Leuchten aus lebenden Zellen. Zwar strahlen nur einige wenige Lichtquanten – die kleinste Einheit des Lichts – pro Sekunde und Quadratzentimeter aus dem untersuchten Zellmaterial. Für Popp war das trotzdem eine Sensation, die Sprache der Zellen.
Zunächst wollte kein Kollege etwas von einer Emission von Lichtquanten aus Zellen wissen und auch die dazugehörigen Theorien von Popp sind vielen bis heute einfach zu spektakulär. Denn Popp sieht in den Lichtquanten nichts weniger als die Art und Weise, in der die Zellen untereinander kommunizierten.
Um seine Theorien zu untermauern, entwickelte der Biophysiker verschiedene höchst lichtempfindliche Instrumente, mit denen er die Dauer und Intensität der Strahlung, sogar einzelne Photonen messen konnte. Die Existenz der Strahlung wird inzwischen auch nicht mehr angezweifelt. „Die Geräte funktionieren einwandfrei, davon konnte ich mich persönlich überzeugen“, sagt Jürgen Strube von der Firma Kwalis. Sie will Popps Lichtmesser künftig zur Lebensmittelkontrolle einsetzen. Ob die Zellen miteinander sprechen, interessiert dabei nicht. Tatsache ist: Ist das Fleisch frisch, leuchten die Zellen. Je länger das Tier tot ist, desto schwächer wird das Licht – eine im Vergleich zur Laboranalysen deutlich billigere Methode so genanntes Gammelfleisch aufzuspüren.
Laut Popp werden die lebenden Lämpchen von durch Sonnenlicht angeregte Elektronen erzeugt. Dabei zeigten seine Versuche mit lebenden und toten Zellen, dass bei lebenden Systemen die Lichtstrahlung langsamer abklingt. Daraus schloss er, dass die Zellen in lebenden Organismen nicht unabhängig voneinander agieren. Das Licht sei ein zusammenhängendes System und ermögliche es den Zellen, untereinander Informationen auszutauschen, folgert Popp.
Nach der herkömmlichen biochemischen Sicht regiert in Zellen die Planlosigkeit: Der Organismus wird als wimmelndes Chaos von Molekülen gesehen, in dem der Zufall entscheidet, ob, wann und wo chemische Reaktionen stattfinden.
Popp hält diese Sicht für absurd. Aus einem planlosen Chaos könne kein sinnvolles Zellgeschehen entstehen. Experimentell hat der Biophysiker festgestellt, dass sich das Licht in unseren Zellen keineswegs chaotisch und zufallsbedingt verhält. Die Photonen, laut Quantenmechanik Teilchen und Wellen zugleich, beziehen sich aufeinander und bilden laut Popp ein abgeschlossenes elektromagnetisches Feld, in dem Information ausgetauscht werden.
Die Frage nach dem Ursprung des Biolichts ist bislang unbeantwortet. Popp tippt auf die DNA als Quelle und Speichermedium: „Das hat mit der extrem hohen Informationsdichte in der DNA zu tun.“ Dass Licht den optimalen Träger von Information darstellt, ist kein Geheimnis. Sollten die Zellen tatsächlich über Licht Informationen austauschen, könnte dies die Perfektion der Abläufe in biologischen Systemen erklären. Die Ursache und mögliche Funktion der Strahlung wird inzwischen weltweit kontrovers diskutiert. Außer in Deutschland. So gibt es außer der Forschungsgruppe um Popp keine weiteren Wissenschaftler in Deutschland, die sich mit diesem Phänomen der Zellstrahlung befassen. Ein ehemaliger Forscher vom Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie räumt zwar ein, „dass die ultraschwache Zellstrahlung eine allgemein anerkannte Tatsache ist“ und „dass die Ursachen dieser Strahlung bisher nicht festgestellt werden konnten“. Bei näheren Nachfragen an den Lehrstühlen für Zellbiologie, Biophysik oder biophysikalischer Chemie an deutschen Universitäten und entsprechenden Instituten wird jedoch deutlich, dass man sich weder mit den Theorien aus Neuss noch mit der ominösen Strahlung eingehender auseinander setzt.
Dabei wird bereits weltweit auf dem Gebiet der zellulären Strahlung geforscht. Besonders in Indien, Japan, den USA und China. Dort finden Popps Ergebnisse auch die größte Anerkennung, mehrmals wurde der inzwischen 68-Jährige schon zum Gastprofessor berufen: an die indischen North-Eastern Hill University, an die Universität im chinesischen Harbin, an die amerikanische Princeton-Universität und an die Temple-Universität in Philadelphia.
Auch die Liste der mit dem Internationalen Institut für Biophysik kooperierenden Personen glänzt mit großen Namen: Dort finden sich über zwanzig Wissenschaftler mit Lehraufträgen an renommierten Universitäten von Moskau über Peking bis Boston. Pseudowissenschaftliche Scharlatanerie – der Grund für seinen Rausschmiss in Marburg –, dieser Vorwurf wird offenbar andernorts für abwegig gehalten. „Ich bin mir sicher, dass die Arbeiten technisch korrekt sind“, sagt Professor Guenther-Albrecht Buehler von der Northwestern University in Chicago. „Was ihre Deutung angeht, so müssen wir wohl noch etwas warten.“