: Der schwarze Schatz
MULTIKULTI In Wedding eröffnet eine Bibliothek mit Büchern von schwarzen Autoren. Sie soll ein eigenes Bild von People of Color vermitteln – jenseits von Zuschreibungen
DANIEL GYAMERAH
VON THEMBI WOLFRAM
Ein Archiv zu haben heißt, ein Schatzhaus zu haben, sagte einmal der Bürgerrechtler Nelson Mandela. Seit diesem Wochenende hat Berlin so ein neues Schatzhaus: ein Literaturarchiv schwarzer Autoren im Afrikanischen Viertel in Wedding. Im Souterrain eines Backsteinbauses wurde am Freitag Eröffnung gefeiert. „Es war großartig und sehr emotional“, sagt Daniel Gyamerah, einer der Organisatoren. „Wir haben für 100 Leute bestuhlt, und am Ende waren 150 da, vom Kleinkind bis zu den Älteren.“
Über 2.000 Bücher, von postkolonialer Politologie bis zum Groschenroman im Südstaatenstil haben die GründerInnen der Vera-Hayer-Präsenzbibliothek seit den 70er Jahren ehrenamtlich zusammengetragen: Romane, Sachbücher, Anthologien, Lyrik, Kriminalromane, Science-Fiction und Kinderbücher. Die meisten Bücher sind das Erbe der Namensgeberin Vera Hayer. Die Afrodeutsche hatte damals den Traum einer Schwarzen Bibliothek. Gemeinsam mit Freundinnen sammelte sie jahrzehntelang Werke schwarzer Autoren deutscher und anderer Herkunft.
Nach Hayers Tod übernahm eine ihrer Mitstreiterinnen, Nouria Asfaha, den Gesamtbestand der Bücher – und vermachte das Archiv der Berliner Initiative Each One Teach One (Eoto), die sich der Dokumentation schwarzer Geschichte und Gegenwart verschrieben hat und als Trägerverein des Archivs fungiert.
„Afrikaner und Afrikanerinnen, vor allem die Generation unserer Eltern, werden in Deutschland nicht als wissende Personen wahrgenommen“, sagt Daniel Gyamerah, Vereinsvorstand von Eoto. „Ich will in einer Gesellschaft leben, in der vielfältige Perspektiven sichtbar sind. In der es mehr Geschichten von und nicht nur über schwarze Menschen und People of Color gibt.“ „Each One Teach One“ ist ein afrikanisch-amerikanisches Sprichwort aus der Zeit der Sklaverei. Es besagt: Wer es schafft, sich Wissen anzueignen, obwohl es Schwarzen verboten ist, muss es an zumindest einen anderen Schwarzen weitergeben.
Zwei Jahre Ordnen, Katalogisieren und Restaurieren der Bücher liegen hinter Gyamerah und seinem Team. Elf Vereinsmitglieder sind sie. Zunächst wird das Archiv nur an zwei Tagen in der Woche öffentlich zugänglich sein. Jeden Mittwoch wird es eine Schreibwerkstatt für Jugendliche geben. Workshops und Lesungen sollen die Bibliothek im Kiez etablieren.
Für Gyamerah waren Bücher ein Zugang zu seiner afrodeutschen Identität. „Meine Freundin hat mir mal ‚Plantation Memories‘ von Grada Kilomba geschenkt.“ Erst durch dieses Buch über Alltagsrassismus in Deutschland sei er bei Eoto gelandet. Unsere Bibliothek soll solche Zufälle systematisieren.“ In Bibliotheken anderer Bezirke hilft Eoto bereits, den Bestand aufzubessern, und packt themenbezogene Bücherboxen, die ausgeliehen werden können.
Nouria Asfaha erinnert sich an die Anfangszeiten des Büchersammelns: „Erst haben wir untereinander unsere Bücherregale abgeglichen, dann haben wir uns bundesweit durch die Antiquariate gekämpft.“ In jeder freien Stunde zog Asfaha durch Berliner Buchläden. „Am besten waren die unsortierten. Da konnte man für wenig Geld gleich ein paar Bücher mitnehmen.“ Das älteste Stück und Stolz ihrer Sammlung stammt ist von 1902: In „Vom Sklaven empor“ erzählt der Afroamerikaner Booker Washington, wie er sich einen Platz an einer Universität erkämpfte.
Asfaha selbst wird das Projekt als Bibliothekarin betreuen. „Ich finde es unheimlich wichtig, dass man sich ein eigenes Bild von People of Color und Afrika machen kann – jenseits von Zuschreibungen. Bücher sind eine Form des Empowerments.“
Für Daniel Gyamerah waren die vielen Weddinger, die zur Eröffnung kamen, ein Zeichen dafür, wie wichtig das Projekt ist. „Es war gut zu sehen, wie viele aus der schwarzen Community gekommen sind, aber eben auch weiße Gäste, die um die Wichtigkeit eines solchen Ortes wissen.“
■ Each One Teach One e. V. , Müllerstraße 56–58 (Paul-Gerhardt-Stift), Wedding, Öffnungszeiten und mehr unter eoto-archiv.de