: Tomorrow never knows
JOHN LENNON Heute wäre der britische Popstar 70 Jahre alt geworden. Erinnerungen an eine Karriere, die viel zu früh endete
■ 1940: Lennon wird am 9. Oktober in Liverpool geboren
■ 1957: Gründung der Skiffle-Group Quarry Men. Lennon wird auf der Kunsthochschule aufgenommen. Trifft dort seine spätere Frau Cynthia und den Künstler Stuart Sutcliffe.
■ 1960: Umbenennung in The Beatles. Mehrmonatiges Gastspiel in Hamburg.
■ 1961: Manager Brian Epstein verschafft der Band einen Plattenvertrag. Ringo Starr komplettiert die Besetzung. Die zweite Single „Please Please me“ klettert 1962 an die Spitze der Charts.
■ 1963: Die Beatles werden zur erfolgreichsten Popband aller Zeiten. Ein Erfolg, der auch nach ihrer Auflösung 1970 anhält.
■ 1966: Lennon lernt Yoko Ono bei einer Ausstellung in London kennen. Sie hilft ihm beim Drogenentzug und bringt ihm die Welt der Kunst nahe.
■ 1969: Beginn der Solokarriere mit der Plastic Ono Band. Übersiedlung nach New York. Bis 1980 entstehen dort in loser Folge sieben Alben.
■ 1980: am 8. Dezember wird Lennon von dem Geisteskranken Marc David Chapman in New York ermordet.
Womöglich Punk
Was wohl wäre, wenn John Lennon noch leben würde? Wahrscheinlich hätte seine Solokarriere weitere Hürden genommen und er selbst noch so einige Verwandlungen durchgemacht. Nach der Metamorphose vom Sänger der SPD-nahen Boy Group Beatles („You say you want a revolution/But when you talk about destruction, don’t you know that you can count me out“) zum Hippie-Radikalinski, die ja auch zur Auflösung seiner Band beitrug, wollte Lennon Anfang der siebziger Jahre zumindest ein bisschen wie Bob Dylan sein.
Sicher hätte es in den achtziger Jahren einen weiteren Paradigmenwechsel in Sachen Image gegeben. Spätestens dann wäre Lennon, genau wie sein Freund David Bowie, mit dem Etikett Pop-Chamäleon versehen worden. Auch wenn Lennons Verharren in der Proto-Hippie-Pose naheliegend gewesen wäre, kann man sich ihn ziemlich gut als Punk vorstellen – seinen Spruch „I always liked simple Rock’n’Roll“ vor Augen. Man denke nur an seine Auftritte mit der Plastic Ono Band in einer Uniform, wie sie auch die GIs in Vietnam trugen. Das sieht der Ästhetik von The Clash in den frühen achtziger Jahren ziemlich ähnlich.
Ich persönlich liebe das Debüt-Soloalbum von John Lennon wegen Zeilen wie, „your still fucking peasants as far as I can see“, oder „god is a concept, by which we measure our pain“, „I don’t believe in Zimmerman“ und anderer toller Aussagen. Außerdem schätze ich die Sounds, die der verrückte Produzent Phil Spector dazu gezaubert hat. Zugegeben, ich konnte Lennons Musik über Jahre, fast jahrzehntelang nicht hören, ohne an die schlecht sitzenden Klamotten von Joseph Beuys und die Jutetaschenbewegung der 80er Jahre zu denken, die sämtliche politische Energie in die Ökologie verlagert hatte. Alle rauchten Halfzware-Tabak und waren grüne Realos geworden. Statt von Revolution war nur noch vom Frieden die Rede.
Der Gedanke daran ist auch heute nicht sehr aufregend, genau wie die Musik, die dazu in Deutschland spielte, egal ob von BAP oder U2. Wäre John Lennon auch in diesem Konzept aufgegangen oder hätte er sich dem politkulturellen Mainstream wieder entzogen, den er selbst mit ins Rollen gebracht hatte? Die Antwort auf diese spannenden Fragen kann die geschätzte Yoko Ono allein leider auch nicht für uns geben. FRANK SPILKER
■ Der Autor ist Komponist und Texter der Hamburger Band Die Sterne
„I am a war baby“
DIALOG John Lennon trifft Hanns Eisler in einem Londoner Pub
Ich hätte mir nicht vorstellen können …, diesen Armeedrill mitzumachen. Gerade jetzt will ich Musik machen. Ich brauche keine Armee.“
Als John Lennon das sagt, ist er gerade 21 Jahre alt. Die allgemeine Wehrpflicht in Großbritannien ist abgeschafft und er unterhält sich mit dem berühmten österreichischen Komponisten Hanns Eisler. Das Gespräch hat vermutlich Anfang 1962 in einem Londoner Pub stattgefunden. Lennon ist zu jener Zeit in der Stadt, um mit den Beatles Probeaufnahmen zu machen. Eisler hatte in der britischen Hauptstadt zu tun, weil seine „Deutsche Sinfonie“ erstmals in England aufgeführt wurde. Die Tonbänder der Unterhaltung wurden im Nachlass eines Gastwirts gefunden. Wahrscheinlich hat Eislers Sohn Georg die Aufnahmen gemacht. Dieser hatte die Beatles in Hamburg kennengelernt und seinem Vater eine Single ihrer Musik gegeben. Jetzt hat der Potsdamer Musikwissenschaftler Thomas Freitag die Bänder transkribiert und veröffentlicht.
Das liest sich wie ein Dialog auf Augenhöhe. Hier der neugierige, gleichwohl skeptische 63-jährige Komponist, der nach zahlreichen Stationen im Exil in Ostberlin gelandet ist und wissen will, was die Jugend mit dem Teufelszeug Rock ’n’ Roll treibt, dort der junge britische Musiker, auf dem Sprung zum Popstar und von seiner Kunst überzeugt. Natürlich unterhalten sich die beiden Komponisten über ihre Motive, Musik zu machen. Eisler erwähnt Schönberg, seinen gestrengen Lehrer, dem er alles verdankt. „He must have been a great guy, this Schönberg of yours“, sagt Lennon bewundernd. Auch der Lauf der Weltgeschichte wird diskutiert, die Verheerungen Nazideutschlands, das Eislers Karriere fast vernichtet hätte und Lennons Geburt mit einem Bombenangriff begleitet hat. „I am a war baby“, sagt Lennon lakonisch. Zum Glück habe die neue Musik etwas Völkerverbindendes.
Eisler wiederum wundert sich, dass Rock ’n’ Roll von einem Instrument ausgeht, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts keine große Rolle gespielt hat. „It’s sexy, and it’s also aggressive and direct when you use that guitar“, entgegnet Lennon. Mit der Gitarre hat er alles in der Hand, was er für seine Weltkarriere brauchen würde. JULIAN WEBER
■ Thomas Freitag: „ ‚Das Neue, so merkwürdig …‘ Hanns Eisler, John Lennon. Die Gespräche.“ Zweisprachig Englisch–Deutsch. Verlag Neues Leben, Berlin 2010, 112 Seiten, 14,95 Euro
Am Beatles-Platz
Der Weg zu John Lennon beginnt am Beatles-Platz in Hamburg. Der ist Teil einer Sightseeing-Tour durch Sankt Pauli, die an der Esso-Tankstelle in der Rosenstraße beginnt, über die Reeperbahn zum Friseursalon auf der Davidstraße verläuft, wo Astrid Kirchherr den Beatles einst ihre Pilzkopffrisuren verpasst hat. Direkt am Beatles-Platz liegt „Susis Bar“. Auf der Hausfassade ist die große rote Silhouette einer Stripperin angebracht, unterhalb sind die Umrisse der Beatles aus Eisen zu erkennen, wie sie ihre Gitarren halten. Touristen können ihre Köpfe über die Körper halten, um für Fotos zu posieren. So kann jeder, frei nach Beuys, ein Beatle werden. Alle können der Partei der Content-Macher beitreten, zu Superhelden der modernen Geschichte werden.
Als John Lennon am 8. Dezember 1980 in New York ermordet wurde, war er weit mehr als ein Weltstar des Pop. Seine Fans konnten die Wendungen seiner Karriere nicht immer nachvollziehen, seine Statements und Aktionen waren von der Musikindustrie nur schwer vermarktbar. Die Happenings von Lennon wurden im Mainstream überhaupt nur bekannt durch seine Arbeit mit Yoko Ono. Vor einiger Zeit hat die Regisseurin Nadine Jessen den Beatles-Platz in Yoko-Ono-Platz umgetauft. Die leeren Umrisse der Beatles-Figuren wurden mit Fotokopien von Yoko gepflastert. Zur feierlichen Umbenennung hielt die New Yorker Künstlerin A. L. Steiner eine Rede: „Erfreuen Sie sich an der künstlerischen Radikalität von Yoko Ono, die mit dem berühmtesten Popstar zusammenarbeitet und ihn in einen Performance-Künstler verwandelt hat. Statt sinnloser Pressekonferenzen geben sie Love-Ins. Lennon hat offen zugegeben, wie Yoko Ono dadurch sein Leben gerettet hat. Ein Popstar-Leben, das ihm entglitten war, mehr und mehr entleert schien, immer nutzloser, das Produkt einer korporativen Marke namens The Beatles, das er, Lennon, ewig perpetuieren musste. Die Wurzeln der künstlerischen Praxis bewahrten ihn. Dadurch nahm er sein künstlerisches Genie ganz anders wahr. Es war Yoko Ono, die das hohle, seelentötende Popbusiness mit ihren Fluxus-Ideen infiltrierte und transformierte und in eine neue Welt voller künstlerischer, poetischer und politischer Potenziale verwandelte.“ So ist es.
MELISSA LOGAN
■ Die Autorin ist Teil der Pop-Performance-Gruppe Chicks on Speed
John-Lennon-Gymnasium
Mein Lieblingstrack der Beatles ist natürlich „Revolution #9“ vom sogenannten, eigentlich namenlosen, „White Album“. Ihr längstes veröffentlichtes Stück. Klangcollage, ganz große Klasse. Der offizielle Songwriting-Credit lautet auf Lennon/McCartney, aber glaubhafte Kenner wollen wissen, der Track entstand in einer beseelten Zusammenarbeit von John mit Yoko Ono und George Harrison.
Keinerlei Abnutzungserscheinung bis heute. Dekonstruktionsorgie in großartige Neukonstruktion mündend. Unglaublich und heute natürlich auch irgendwie gespenstisch, das kurze Auftauchen von Johns Stimme dort. „Revolution #9“ als prompte Widerlegung eines reichlich naiv-hippiesken Satzes von „Revolution #1“ auf dem gleichen Album.
Es gibt nur wenige Personen des sogenannten öffentlichen Lebens, bei denen man auch nach Jahrzehnten noch weiß, auf welcher Straßenkreuzung man von ihrem Tod erfuhr. (Das Schulprofil des John-Lennon-Gymnasiums in Berlin-Mitte wird durch drei Werte bestimmt: Leistung, Weltoffenheit und freundliches Lernklima). ANDREAS NEUMEISTER
■ Der Autor lebt und arbeitet als Schriftsteller in München