: Der lange Arm der türkischen Justiz
Aufgrund eines türkischen Haftbefehls nahm die Polizei einen kurdischen Flüchtling fest. Eine Woche lang saß er im Moabiter Knast. Dabei ist der Asylantrag des 37-Jährigen anerkannt und der Mann durch frühere Haft schwer krank
Am Ende ging alles ganz schnell: Am späten Dienstagnachmittag wurde der anerkannte politische Flüchtling Dervis Orhan aus der Haft in Moabit entlassen. Der Gefängnisarzt habe die Haftunfähigkeit des schwer kranken Mannes festgestellt, erklärte sein Anwalt Thomas Moritz.
Der kurdischstämmige Orhan saß seit einer Woche im Gefängnis in Moabit. Am 13. September war er von Polizisten in seiner Wohnung verhaftet worden. Die Beamten hatten dem 37-Jährigen erklärt, dass sie einen von der türkischen Justiz ausgestellten Haftbefehl samt Auslieferungsbegehren vollstrecken. Dieser Haftbefehl bezieht sich auf das gleiche Urteil, das ein Grund für die Anerkennung Orhans als Asylbewerber in Deutschland ist: Ein Istanbuler Gericht hatte Orhan wegen Mitgliederschaft der auch in Deutschland verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) zu lebenslanger Haft verurteilt.
2003 nutzte er eine Haftpause aus gesundheitlichen Gründen zur Flucht nach Deutschland; vor einem Jahr wurde Orhan Antrag auf politisches Asyl anerkannt. In der Türkei drohe ihm aus politischen Gründen Verfolgung, heißt es in der Begründung.
Was sich für einen juristischen Laien in ersten Augenblick unverständlich anhört, ist juristisch gedeckt, sagte die Rechtsanwältin und Expertin für Asylverfahren, Jutta Hermanns. Nach Paragraf 4 des Asylverfahrensgesetz steht eine Asylanerkennung einem Auslieferungsverfahren nicht im Wege. „Das hat zur Folge, dass Menschen, die in Deutschland Schutz vor politischer Verfolgung suchen, in den Verfolgerstaat zurückgeschickt werden können.“
In den vergangenen zwei Jahren hat die Türkei mehrere Auslieferungsanträge gegen in Deutschland anerkannte Asylbewerber gestellt, berichtet Hermanns. Die deutsche Justiz habe allerdings bisher immer mit dem Verweis auf Auslieferungshindernisse das Begehren verworfen. Dazu gehöre unter anderem ein Prozess vor dem Militärgericht mit Richtern in Uniform, was im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Auch das Urteil gegen Orhan wurde vor einem Militärgericht gefällt. Laut seinem Anwalt Thomas Moritz bestand deshalb trotz der Inhaftierung keine akute Abschiebegefahr.
Als viel gefährlicher beurteilt Moritz die Inhaftierung überhaupt: Orhan hatte nach seiner Verurteilung in der Türkei bereits neun Jahre im Gefängnis gesessen. Durch die Haft habe er schwere psychische Schäden davongetragen, so Moritz. In Berlin war er wegen der physischen und psychischen Haftfolgen beim Zentrum für Folteropfer in Behandlung. Sein Rechtsanwalt befürchtete sogar, dass er eine längere Haft in Moabit nicht überleben würde – Orhan war vergangene Woche in Hungerstreik getreten. Auch nach Orhans Entlassung will Moritz alle juristischen Mitteln ausschöpfen. „Es ist ein Unding, dass ein haftunfähiger Mensch fast eine Woche teilweise gefesselt festgehalten wird“, erklärte der Anwalt.
Der Pressesprecher des Kammergerichts, Michael Grunwald, bestätigte der taz, dass Orhan aufgrund eines über Interpol verbreiteten Festnahmeersuchens der Türkei in Haft genommen worden sei. Zum Zeitpunkt der Festnahme habe ein Arzt die vorläufige Haftfähigkeit bescheinigt. Die Generalstaatsanwaltschaft habe jedoch die Prüfung der Haftfähigkeit veranlasst. Dabei sei seine Haftunfähigkeit festgestellt und Orhan freigelassen worden. Auf die von dem Anwalt kritisierten Haftbedingungen angesprochen, sagte Grunwald, dass der Kurde wegen Tätlichkeiten gegen Bedienstete in einen „besonders gesicherten Haftraum“ im Haftkrankenhaus untergebracht gewesen sei.
Peter Nowak