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Archiv-Artikel

Das große grüne Wünsch-dir-was

In Pankow beklatschen sich die Grünen. Berauscht durch den Gewinn von zwei Direktmandaten wollen sie Senatoren für das Land stellen und sogar den Bezirksbürgermeister. Anders als in Kreuzberg hat hier keiner Bedenken – außer der jungen Basis

VON GEREON ASMUTH

„Da ist ja der Herr Bürgermeister“, ruft Volker Ratzmann. „Guten Tag, Herr Senator“, antwortet Jens Holger Kirchner. „So weit ist es doch noch nicht“, wehrt Ratzmann ab. Doch Kirchner besteht auf seiner Anrede. Schließlich ginge es jetzt um Autosuggestion, damit der Wahlerfolg sich auch tatsächlich in Ämtern niederschlage.

Der Kreisverband der Grünen Pankow hat seine Mitglieder ins Spielhaus an der Kollwitzstraße geladen. Wahlanalyse steht am Dienstagabend auf dem Programm, sie besteht in erster Linie aus Applaus. Ratzmann und Kirchner sind die Helden des Abends. Der eine hat in Prenzlauer Berg überraschend ein Direktmandat für das Abgeordnetenhaus gewonnen – und hofft nun auf eine rot-grüne Koalition auf Landesebene. Der andere will Dank des enormen Stimmenzuwachses nun Bürgermeister im Bezirk Pankow werden – auch wenn die SPD deutlich vor den Grünen liegt.

Aber es gibt ja noch das Wunschdenken. Und so reden sich die Grünen ihren Wahlerfolg schöner, als er ist. Der Kreisverbandsvorsitzende Stefan Gelbhaar zählt akribisch auf, dass die Grünen auch in Heinersdorf 499 Stimmen gewonnen haben. Und dass die CDU in diesem Wahlkreis 186 Stimmen verloren hat – trotz ihrer populistischen Kampagne gegen den Bau einer Moschee. Einziges Manko sei, so Gelbhaar, „dass der Typ trotzdem im Abgeordnetenhaus sitzt“. Der Typ ist der oberste Moschee-Gegner René Stadtkewitz (CDU). Er erhielt immer noch gut 1.000 Stimmen mehr als sein Konkurrent von den Grünen.

Aber so genau will es am Abend der ultimativen Lobhudelei niemand wissen. „Wir sind die Sieger“, hat Kirchner mit Edding auf einen Papierbogen geschrieben. Plus 8.255 Erststimmen. Plus 7.666 Zweitstimmen. „Und die Kommunisten“, so Kirchner, „haben 40.000 Stimmen verloren.“

Die Grünen sind eine Macht im Osten. Zumindest in Prenzlauer Berg. Hier haben sie in einigen Wahllokalen über 40 Prozent erzielt. Und hier wohnen 400 der insgesamt 500 Mitglieder des Kreisverbandes. Etwa 50 sind ins Spielhaus gekommen. Das Jackett hat bei der Wahl der Abendgarderobe locker gewonnen, allein weil kaum Frauen anwesend sind. Das repräsentative Grünenmitglied ist an diesem Abend männlich und über 30. Auf dem Ökomarkt am Kollwitzplatz würde es sich locker ins Publikum fügen, auf der szenigen Kastanienallee würde es als unhipper Spießer verbucht.

Parteikollegen aus „dem gallischen Dorf Kreuzberg“, die nicht so ohne weiteres einer rot-grünen Koalition zustimmen wollen, werden hier nur mit Spott bedacht. In Pankow bleibt man gelassen. Die Parteibasis will durch die Bank erst mal sehen, was denn in einem Koalitionsvertrag stünde. Im Vordergrund steht die Beteiligung am Senat. „Die Leute auf der Straße haben uns gesagt, wir sollen die PDS ablösen“, sagt Andreas Otto, der das zweite Direktmandat für die Grünen gewonnen hat.

Umstrittener ist eher der Weg zur Macht. Zwei männliche Wahlkreisgewinner, ein männlicher Bürgermeisterkandidat. Und nun ist nicht mal die Kommission quotiert, die mit der SPD die Bezirksamtsbesetzung aushandeln soll. Nur eine Frau bei drei Männern, da murrt die weibliche Basis. Zum Glück repräsentiert wenigstens die Herkunft der Mandatsgewinner die Mischung der Parteibasis. Ratzmann kommt aus dem Westen, Otto aus dem Osten.

Während Ratzmann am Ende Sekt spendiert, steht am Rande eine kleine Delegation der Grünen Jugend Pankow. Die hatte nach all den Hymnen auf die Wahlkämpfer versucht, die älteren Parteifreunde für ihren Kampf gegen den Laden „Harakiri“ zu gewinnen. Der verkauft mitten im linksalternativen Prenzlauer Berg die passenden Klamotten für die Nazi-Jugend. Doch hätte nicht einer von der Basis darauf hingewiesen, dass das Engagement gegen Rechtsextreme vor Ort tatsächlich ein Thema ist, hätte der Kreisverband reaktionslos das Anliegen der Jugend abgehakt. Der Vorsitzende war bereits zum Punkt „Abhängen der Wahlplakate“ übergegangen.

Schon das Aufhängen hatte die Grüne Jugend boykottiert. Denn bei den Plakaten habe ihre Partei nur auf Personen, nicht auf Inhalte gesetzt, kritisiert die 18-jährige Marie. Eine Regierungsbeteiligung ihrer Partei mache ihr Angst. „Da muss man Kompromisse finden und zu viele Ideale aufgeben“.

Das wissen auch die Grünen über 30. „Aber wenn wir das wichtige Stadtentwicklungsressort bekämen“, meint der Kreisvorsitzender Gelbhaar, „dann würden wir schon ein paar andere Kröten schlucken“.