„Wir klatschen auch bei Sozis“

INTERVIEW Gregor Gysi über die neue Demonstrationskultur in Deutschland und die langsame Entkrampfung im Verhältnis der Linkspartei zur SPD und den Grünen

■ (62) ist seit 2005 Fraktionschef der Linksfraktion im Bundestag. Und seit Oskar Lafontaines Rückzug der mit Abstand bekannteste Politiker der Linkspartei. Er wohnt in Berlin und ist Rechtsanwalt. Von 1989 bis 1993 war er Chef der SED-PDS beziehungsweise PDS.

INTERVIEW STEFAN REINECKE
UND PAUL WRUSCH

taz: Herr Gysi, haben Sie Angst um die Linkspartei?

Gregor Gysi: Nein. Wir haben uns zu lange mit uns selbst beschäftigt. Das ist nie gut. Aber das haben jetzt fast alle begriffen.

In Umfragen liegt die Partei eher unter 10 Prozent. Was haben Sie falsch gemacht?

Wir waren zum Beispiel bei Wehrpflicht und Bundeswehr zu spät. Wir sind für die Abschaffung der Wehrpflicht. Aber für eine kleine und reine Verteidigungsarmee ohne Offensivbewaffnung. Das hätten wir deutlich machen müssen. Bei der Integrationsdebatte gilt Ähnliches.

Früher haben Sie die SPD bei Hartz IV vor sich hergetrieben. Das geht nicht mehr, seit die SPD in der Opposition ist.

Na ja, wenn die SPD die Rente mit 67 ein kleines bisschen korrigiert, erscheint das in den Medien als halbes Weltwunder. Unsere konsequentere Position erscheint da manchen dort als nicht mehr so interessant. Aber es stimmt: Wir waren als Korrektiv erfolgreich. Die SPD hat sich durch uns verändert, die Grünen, sogar die Union ein bisschen. Korrektive werden mal mehr, mal weniger gebraucht. Deshalb müssen wir jetzt zum Motor linker Politik werden.

Wie das?

Wir müssen eigenständiger werden. Wir sind z. B. die einzigen, die gegen die Bundeswehr in Afghanistan sind, die einen größeren öffentlichen Dienst wollen – und auch sagen werden, wie man den finanzieren kann. Wir arbeiten an konkreten Ideen zum öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, den es nur gibt, wo wir mitregieren, in Berlin und Brandenburg.

Ist es gut, wenn eine Partei nur eine echte Führungskraft hat?

Meinen Sie die FDP?

Nein, aber der geht es damit auch nicht gut.

Die Rolle der bekannten Persönlichkeiten wird überschätzt. Ich mag ja etwas eitel sagen, dass es an mir liegt, dass ich so bekannt bin. Aber vor allem lag es an dem Zeitpunkt, als ich in die Politik wechselte. Nie war das politische Interesse in Deutschland so groß wie im Dezember 1989.

Viele protestieren gegen Atomkraft und Stuttgart 21, aber nicht gegen Hartz IV. Der Protest wird bürgerlicher – Ihre Partei hat davon nichts.

Wir sind in Stuttgart Teil der Bewegung. Das merken die Leute, auch deshalb werden wir bei den Landtagswahlen gut abschneiden. Aber es geht tatsächlich um Themen, die nicht direkt uns zugeschrieben werden. Das fordert uns heraus. In Stuttgart ist ein neuer rebellischer Zeitgeist entstanden. Die Mentalität ändert sich. Und es geht in Stuttgart auch um Soziales. Es regt die Leute auf, dass für solche Projekte Milliarden da sind, aber kein Geld, um die Toilette in der Schule zu reparieren. Das ist auch ein Ventil für den Frust über die Klientelpolitik von Schwarz-Gelb.

Warum protestiert keiner gegen die Mini-Erhöhungen bei Hartz IV?

Hartz-IV-Betroffene schämen sich zum Teil für ihre Situation. Viele verschweigen es ihren Nachbarn. Manche haben resigniert. Diese Schicht geht im Moment nicht auf die Straße. Aber das kann sich auch schnell ändern. Die Unzufriedenheit ist noch immer riesig.

Als Sie im Deutschen Bundestag über Stuttgart 21 geredet haben, haben auch SPDler und Grüne applaudiert. Hat Sie das überrascht?

Es ist neu. Es gibt eine gewisse Entkrampfung. Wir klatschen jetzt auch bei manchen Reden der Grünen oder Sozis. Nach der Wahl des Bundespräsidenten haben die Klügeren in der SPD begriffen, dass es so nicht geht. Jetzt gibt es Gesprächskreise mit SPD und Grünen.

Hoffnung für Rot-Rot-Grün?

Es ist alles im Fluss. Die SPD ist ja noch nicht mit sich fertig. Die Grünen sind noch enttäuscht, dass es mit der Koalition mit der Union wohl nichts wird. Also Vorsicht.

Das zentrale Spielfeld für Rot-Rot-Grün ist derzeit NRW.

Ich bin gespannt, mit wem Rot-Grün ihren Haushalt durchbringen. Derzeit scheinen SPD und Grüne einen Kompromiss mit der Linken zu suchen.

Der nächste Konflikt mit der SPD ist die Wahl in Sachsen-Anhalt 2011. Die SPD liegt derzeit hinter der Linkspartei, will aber keinen linken Ministerpräsidenten wählen. Was dann?

Das ist das Problem der SPD. Wenn wir stärker werden als die SPD, werden wir keinen SPDler zum Ministerpräsidenten wählen. Das wäre ja dann die Regel für die nächsten 20 Jahre. Warum sollten die Leute uns noch wählen?

Das ist Parteitaktik.

Wenn Sie meinen. Aber wir lassen uns nicht demütigen.