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Archiv-Artikel

Es muss nicht immer gigantisch sein

SCHIENEN Ein Verzicht auf Stuttgart 21 würde erhebliche Mittel bringen, die bei anderen, kleineren Projekten sinnvoller eingesetzt wären

„Für Politiker ist es eher attraktiv, eine Neubaustrecke einzuweihen“

MATTHIAS OOMEN, PRO BAHN

VON RICHARD ROTHER

Wenn von großen, staatlich finanzierten Infrastrukturprojekten die Rede ist, wird immer auch gefragt, ob das Geld nicht anderswo sinnvoller eingesetzt werden kann – also einen größeren verkehrlichen Nutzen bringt als das jeweilige Prestigeprojekt. Das ist auch bei der Bahn, dem ökologisch vorteilhaftesten Verkehrsträger, nicht anders. Und auch deshalb ist das Projekt Stuttgart 21 umstritten.

Was aber würde ein Ausstieg aus dem Projekt bringen? Die Frage lässt sich nur ansatzweise klären. Niemand weiß, wie teuer Stuttgart 21 wirklich wird. Die Bahn geht davon aus, dass Stuttgart 21 – also die Verlegung des Bahnhofes in den Untergrund sowie diverse Anbindungen in Stuttgart, teilweise im Tunnel – rund 4,1 Milliarden Euro kosten wird. Hinzu kommen Aufwendungen für die Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm in Höhe von 2,9 Milliarden Euro, die allerdings auch von Stuttgart-21-Gegnern befürwortet wird.

Aber auch das Alternativprojekt zu Stuttgart 21, der Kopfbahnhof 21, würde viel Geld verschlingen: Der marode Bahnhof müsste saniert werden, ebenso Gleise und Weichen, auch Tunnel wären zu bauen. Die Befürworter rechnen mit Kosten in Höhe von einem Viertel bis einem Drittel der Mittel, die für Stuttgart 21 notwendig sind. Außerdem müssten deutlich weniger Tunnel gebaut werden, was das Risiko exorbitanter Baukostensteigerungen verringert. Letztlich könnte also das Alternativmodell, sehr grob geschätzt, ein paar Milliarden Euro weniger in Anspruch nehmen. Genaues wird man dazu aber nie erfahren, da nur die eine oder andere Variante gebaut wird und niemand weiß, was bei der Umsetzung der jeweils anderen passiert wäre.

Fakt ist: Ausbau und Erhaltung der Schieneninfrastruktur sind in Deutschland chronisch unterfinanziert; beides aber wäre notwendig, um mehr Menschen und Güter in Deutschland auf die Schiene zu bringen. Würde man alle wünschenswerten und sinnvollen Schienenprojekte realisieren, wäre ein größerer zweistelliger Milliardenbetrag notwendig – das würde auch der Verzicht auf Stuttgart 21 nicht bringen.

Aber auch mit viel weniger Geld lassen sich sinnvolle Schienenprojekte realisieren – auch solche, die noch in keiner Finanzplanung zum Ausbau der Infrastruktur auftauchen. „Wenn wir Geld hätten, könnten wir sofort mit Maßnahmen anfangen, die dem Schienengüterverkehr nutzen“, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer der Lobbyorganisation „Allianz pro Schiene“, die sich zu Stuttgart 21 nicht äußert. Sinnvoll sei beispielsweise das „Wachstumsprogramm Schiene“ der Deutschen Bahn AG, das mit vielen kleinen Maßnahmen erwartete Kapazitätsengpässe beseitigen und Alternativrouten zur Entlastung großer Verkehrsknoten schaffen will. Flege: „Das kostet nur 1,8 Milliarden Euro, verteilt über zwei oder drei Jahre.“ Eine Maßnahme dabei wäre, Überhol- und Wartegleise in Knotenbahnhöfen auf 750 Meter zu verlängern. Zur Schaffung eines Ost-Korridors müsste auch die Strecke vom sächsischen Reichenbach über Hof nach Regensburg elektrifiziert werden.

Eine weitere sinnvolle Maßnahme für den Güterverkehr sei, das europäische Zugsicherungssystem einzuführen, so Flege. Das koste 200 Millionen Euro jährlich und würde die Kapazität und die Sicherheit des Schienengüterverkehrs erhöhen. Und: „Es erleichtert den grenzüberschreitenden Verkehr.“

Noch in keiner Planung sind einige Projekte des Personenverkehrs, darunter der Wiederaufbau der Karniner Brücke, die die Ostseeinsel Usedom mit dem Festland verbindet. Urlauber aus Berlin und Sachsen könnten so per Bahn die beliebte Ferieninsel schneller erreichen – Kostenpunkt 90 bis 140 Millionen Euro. Sinnvoll wären auch neue Verbindungen von Itzehoe, Kaltenkirchen und Bad Oldesloe nach Hamburg, die Reaktivierung der Bahnverbindung zwischen Düsseldorf und Duisburg über Ratingen-West, die Stadtregionalbahn Kiel sowie die Erweiterung der Freiburger Breisgau-S-Bahn.

Darüber hinaus gibt es Dutzende Bahnprojekte, die schon in der einen oder anderen Form geplant werden – aber eine schnellere Verwirklichung vertragen könnten. „Am wichtigsten ist sicher der Ausbau der Rheinschiene“, sagt Matthias Oomen vom Fahrgastverband „Pro Bahn“. Auch die Strecken Berlin–Dresden, Lübeck–Stralsund oder Wendlingen–Ulm müssten schnell fertig werden. Zudem sei es wichtig, große Bahnknotenpunkte in Deutschland auszubauen. Dringend hier: Hannover, Hamburg, München, Köln und Dortmund. Hierbei gingen die Kosten in die Milliarden, allein für den Knoten Dortmund würden 2,9 Milliarden Euro veranschlagt. Aber auch mit weniger Geld ließe sich einiges bewirken. So gebe es zwischen Braunschweig und Wolfsburg einen eingleisigen Abschnitt für ICEs. Hier das zweite Gleis zu verlegen, koste einen zweistelligen Millionenbetrag. Oomen: „Aber für Politiker ist das nicht so attraktiv, wie eine Neubaustrecke einzuweihen.“