portrait: Japans rückwärtsgewandter Wunscherbe
Shinzo Abe? Bis September 2005 wusste auch in Japan kaum jemand, wer das ist. Doch seitdem taucht er allabendlich in den TV-Hauptnachrichten auf. Als Regierungssprecher beglückwünscht er Prinzessin Kiko zur Geburt des Thronfolgers, stellt Gesetze vor oder referiert über das Bruttosozialprodukt, mit sparsamer Mimik und einer Dosis geschmeidiger Unverbindlichkeit. Gestern wurde der 51-Jährige mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten der Liberaldemokraten (LDP) ernannt. Am 26. September dürfte ihn das von der LDP dominierte Parlament zum jüngsten Regierungschef Japans seit 1945 wählen.
Der konservative Frauenschwarm erringt einen Posten, der seinem Vater, dem 1991 verstorbenen Ex-Außenminister Shintaro Abe, versagt blieb. Shinzo soll versprochen haben, den Ambitionen des Vaters nachzueifern. Er wäre nicht der erste Regierungschef aus dieser Politikerdynastie. Großvater Nobusuke Kishi wurde 1957 Premier – trotz historisch belasteter Biografie. Anders als der scheidende Regierungschef Junichiro Koizumi erkennt Abe die Urteile des US-Kriegsverbrechertribunals (1946–1948) nicht an. Er verharmlost die 14 zum Tode verurteilten Politiker und Generäle als „so genannte“ Kriegsverbrecher. Dass Abe öfter zum Yasukuni-Schrein pilgerte, wo auch die Seelen dieser 14 Kriegstreiber ruhen, erstaunt daher ebenso wenig wie sein Eintreten für eine Revision der pazifistischen Verfassung.
Aus dem Fenster lehnte sich Koizumis Vertrauensmann im Juli. Japan müsse sich mit der Option Präventivschlag gegen Nordkorea auseinandersetzen, sinnierte er nach Raketentests des stalinistischen Militärregimes. Pyöngyang tobte, Entrüstung entlud sich auch in Südkorea. Abe fühlte sich missverstanden und falsch zitiert, ging aber gestärkt aus dem diplomatischen Gewitter hervor. Harte Töne gegenüber Nordkorea, das in den 70ern und 80ern Japaner entführt und als Spionagelehrer festgehalten hatte, kommen gut an. Nachdem Kim Jong Il 2002 das staatlich verordnete Kidnapping zugab, ernannte Koizumi Abe zum Sonderbeauftragten. Der verhandelte über die Freilassung der Verschleppten und drohte mit Sanktionen. Kims Schattenreich entpuppte sich als Glücksfall für Abe. Am Feindbild Nordkorea schärfte er sein Profil und erwarb einen Ruf als außenpolitischer Hardliner.
Vage äußerte er sich bislang zu brisanten Sachfragen wie der Erhöhung der Konsumsteuer. Ein vierseitiges Wahlprogramm sei etwas dürftig, rügte die liberale Asahi. Andere werfen Abe fehlende Exekutiverfahrung vor, denn er war noch nie Minister. Doch dieser Makel konnte den Kronprinzen des populären Koizumi nicht gefährden. MARCO KAUFFMANN
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