KOMMENTAR: BENNO SCHIRRMEISTER ÜBER EINE JURISTISCHE ENTTÄUSCHUNG
: Volksbegriff statt Menschenwürde

Der Bremer Staatsgerichtshof schützt statt der Menschenwürde lieber den Volksbegriff

Nichts, keine Einzelnorm soll Bestand haben, ja noch nicht mal dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden. Nein, die vom Staatsgerichtshof verfügte restlose Zurückweisung des bremischen Gesetzesentwurfs für eine Ausweitung des Landeswahlrechts auf Ausländer ist auch juristisch eher enttäuschend. Denn, selbst wenn sie in sich schlüssig argumentiert ist, wirft sie doch die Frage auf, wie sich ein Gericht gesellschaftlicher Veränderung so vollkommen verschließen – und ein gravierendes Gerechtigkeitsdefizit einfach so in Kauf nehmen kann.

Denn das tut der Staatsgerichtshof, sogar explizit. Das Urteil räumt es selbst ein: „Zu erwägen ist, ob die Menschenwürde dazu verpflichtet, eine Kongruenz zwischen dem Wahlvolk und den dauerhaft von deutscher Staatsgewalt Betroffenen herzustellen.“ Das müssen wir mal übersetzen in Alltagsdeutsch: Dass etliche BürgerInnen im Land Bremen ständig leben, arbeiten, Steuern zahlen, aber nicht mal darüber mitbestimmen dürfen, wie die Straße heißen soll, in der sie wohnen, verletzt sehr wahrscheinlich das ehernste aller Rechte – nämlich die Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Und das wäre schon mal eine Erwägung wert, befinden also die Bremer RichterInnen. Aber eben keine von ihnen. Diese Frage könnte ja, wenn er dereinst geneigt wäre dazu, der Bundesgesetzgeber im Sinne einer Einheitlichkeit des Wahlvolks entscheiden, der Bundestag. Oder er könnte sie in einer weiteren Reform des Staatsangehörigkeitsrechts entschärfen. Aber wäre es nicht rechtssystematisch der erste Auftrag der staatlichen Gewalt des Landes Bremen, die Menschenwürde seiner BewohnerInnen zu achten und zu schützen? Hätte das nicht Vorrang?

Der Bremer Staatsgerichtshof beschützt statt der Menschenwürde lieber einen herkömmlichen Volksbegriff. Der stammt, wie es im Urteil so schön heißt, aus dem frühen 19. Jahrhundert: Er ist ein Begriff des in dieser Zeit entstehenden Nationalismus.