: Der Mensch und das Meer
Bei der Entwicklung einer neuen EU-Meerespolitik ist Schleswig-Holstein ganz vorne dabei – aus Eigeninteresse. Eine Konferenz der Ostseestaaten betont Wirtschaft und Umweltschutz als Schwerpunkte künftiger Politik
Die Urlauber im Ostseebad Travemünde gucken gern den Schiffen im Hafen zu. Ihren Lungen aber tun die Kreuzfahrer und Frachter gar nicht gut, denn die Schiffe lassen ihre Diesel weitertuckern – schließlich brauchen sie Strom an Bord. Abhilfe kann ein neues Projekt schaffen, mit dem die Schiffe von Land aus mit Energie versorgt werden, umweltschonend und billiger.
Ein Beispiel dafür, dass Meerespolitik viele Facetten hat: Es geht um Wirtschaft, Naturschutz, Tourismus, Raumplanung und Fischerei. Also müssten auch alle Aspekte gleichzeitig behandelt werden – angefangen mit der Sicherheit auf den Seewegen über Fischfang bis zu einer europäischen Küstenwache. Seit Juni liegt das „Grünbuch Meerespolitik“ der EU-Kommission vor (taz berichtete), über das jetzt in Kiel zwei Tage lang eine Konferenz mit Vertretern aller Ostseeanrainerstaaten, darunter auch das Nicht-EU-Mitglied Russland, beriet.
Dabei müssten das wirtschaftliche Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen ebenso gefördert werden wie der Schutz der Umwelt, stellte der EU-Kommissar für maritime Angelegenheiten, Joe Borg, gestern zum Abschluss der Tagung klar. Dieses Ziel werde auch auf weiteren Konferenzen Schwerpunkt sein, die sich mit den anderen EU-Gewässern beschäftigen: Nordsee, Mittelmeer und Atlantik.
Am Ende sollen sich aus dem „Grünbuch“, das eine Bestandsaufnahme der Situation darstellt, konkrete EU-Verordnungen entwickeln. Bis Ende 2007 soll die Umsetzung erfolgt sein, sagt Willi Piecyk (SPD). Der EU-Abgeordnete aus Schleswig-Holstein ist frisch ernannter „Berichterstatter“ für das Thema im EU-Parlament – Europas Chef-Meerespolitiker also.
Dass Mensch und Meer von einem integrierten Ansatz profitieren, bezweifelt niemand: Auch Umweltschützer loben die Grundidee. Allerdings kritisierten die Teilnehmer eines Forums in Bremen, dass am Ende vermutlich doch Wirtschaftsinteressen über Umweltbelange siegen könnten (die taz berichtete).
Piecyk sieht das naturgemäß nicht so: „Es gibt keine Gegensätze.“ Stattdessen könnten Firmen durch ökologisch sinnvolle Ideen ökonomisch Punkte machen. „Und Schleswig-Holstein ist dabei weit vorn.“ So entwickelt eine Firma in Bad Oldesloe Meerwasserentsalzungsanlagen für Schiffe, die dann weniger Süßwasser mitschleppen müssen. In Glückstadt wird ein ökologischer Anstrich hergestellt, eine Kieler Werft baut Tanker, die nach einer Havarie kein Öl verlieren. „Da ist Musik drin“, meint Piecyk.
Tatsächlich steckt eine Menge Geld in der neuen Meerespolitik, und Schleswig-Holstein hat nichts dagegen, den Goldfluß in seine Richtung zu leiten: „Wir können wichtige Positionen mitformulieren“, sagt Europaminister Uwe Döring (SPD). Immerhin sei es schon gelungen, die Meerespolitik zu einem von zehn Leitthemen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu machen. Vor allem die Ostseeregion hat deshalb gute Chancen, in den nächsten Jahren stärker in den Fokus zu rücken – und damit in den warmen Regen der Fördermittel, die Brüssel über seine Strukturfonds ausschüttet.
Schon jetzt boomt die Ostseeregion, weil viele der neuen Mitgliedsländer Zugang zum Meer haben. Sie erhalten in den kommenden Jahren Milliardenbeträge von der EU. Damit werden gewaltige Warenströme in Bewegung gesetzt, und die fließen vor allem über die Wasserwege. Bei so viel Verkehr in dem flachen Binnenmeer Ostsee fordern nicht nur Umweltschützer, sondern auch Reeder sichere Schiffe, um Havarien zu vermeiden.
Das Nachsehen haben andere EU-Regionen, etwa die Mittelmeeranrainer. Aber die konferieren ja auch – und werden versuchen, mehr aus ihrem Meer zu machen. ESTHER GEIßLINGER