IN DER SCHLESISCHEN : Rausch und Heimat
Es war halb zwei. Ich konnte nicht schlafen, stand wieder auf und dachte, wie gut es doch wäre, jetzt ein Bier zu trinken. Obgleich das ein schlechtes Zeichen war, zog ich mich an und ging leise hinaus Richtung Post, denn ich brauchte Geld. Im Club der Visionäre tanzten noch Menschen.
In der Post mit dem Geldautomaten stand ein Mann mit grüner Jacke. Auf der Rückseite seiner Jacke stand „Sicherheit“ oder „Security“. Während ich meine PIN-Nummer eingab, dachte ich kurz ängstlich, dass das ja auch ein Räuber sein könnte, der sich zur Tarnung eine solche Jacke angezogen hatte. Er war aber wohl echt. Jedenfalls überfiel er mich nicht. Ich dachte noch an meinen Auftritt ein paar Tage zuvor; es war ja ein bisschen gewesen wie in Göttingen vor anderthalb Jahren, als ich in freier Rede was zum Thema „Hasch“ sagen sollte, das ich mir ausgesucht hatte, weil ich es als Thema so schön unseriös fand. In Göttingen hatte ich mich komplett verwirrt gehabt; bei der Veranstaltung vor ein paar Tagen war ich auch nicht zufrieden mit mir gewesen. Was in Göttingen „Hasch“, war diesmal „Heimat“ gewesen, dachte ich, als ich in dieser ziemlich leeren Kneipe in der Schlesischen Straße saß.
Weiter hinten saßen ein paar Jugendliche. Die Jungs redeten laut durcheinander, um die Mädchen zu beeindrucken. Angetrieben von ihrer Lebenslust sozusagen krähten ihre Stimmen manchmal auch ein bisschen.
Halbsätze flogen durch den Raum, von „kleinen Japanerinnen“ war die Rede, von „Schwulen und anderen Missgeburten“ und immer wieder: „Ich war so besoffen“. Eine aufregende Geschichte wurde erzählt, die man sich als Film gut vorstellen konnte. Jemand war gelaufen, jemand hatte verfolgt, „er hatte Angst vor uns und wir hatten Angst vor ihm“. Beide hätten sich dann doch nicht getraut, den ersten Schritt zu tun, und so war es dann doch zu keiner Schlägerei gekommen. DETLEF KUHLBRODT