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Archiv-Artikel

Welt voll erstarrter Gefühle

Botho liebt Lene. Doch er verlässt sie, um seine reiche Cousine Käthe zu heiraten. Am Freien Werkstatt Theater in Köln hat Gerhard Seidel eines von Theodor Fontanes Lieblingswerken dramatisiert

VON HOLGER MÖHLMANN

Wenn zwei sich nicht kriegen, die sich eigentlich kriegen sollten, ergibt das noch keine Geschichte. Spannend wird das zwischenmenschliche Drama erst durch Umstände, die das Happy End verhindern. Wie bei Theodor Fontane. In seinem Roman „Irrungen, Wirrungen“ von 1888 scheitert die Liebe am Geld und an allem, was damit zusammenhängt. Wie der Unvereinbarkeit verschiedener Gesellschaftssphären, an ständischen und familiären Erwartungshaltungen und nicht zuletzt am Zwang zur finanziell motivierten Vernunftehe. Und niemand scheint etwas dagegen zu haben. Bei Fontane stirbt die Liebe leise, fast unmerklich inmitten minutiöser Milieustudien in genau dem Plauderton, der für den märkischen Schriftsteller so typisch ist. Dass hier die Leidenschaft an Sachzwängen scheitert, – nicht einmal das Liebespaar begehrt dabei auf – sondern sich lapidar und pragmatisch mit dem Unvermeidlichen arrangiert, lässt Fontanes Roman erstaunlich modern erscheinen. Ganz offensichtlich passt er zu einer Gegenwart und einer Gesellschaft, in der nicht nur Verliebte das penetrante Dogma von der Flexibilität und der ökonomischen Notwendigkeit schon lange verinnerlicht haben. Das Kölner Freie Werkstatt Theater eröffnet seine neue Spielzeit mit der Uraufführung einer von Gerhard Seidel entwickelten Bühnenversion von “Irrungen, Wirrungen“ unter der Regie von Roland Bertschi.

Auf den ersten Blick scheint das Experiment gelungen. Die dramatisierte Fassung nimmt Fontanes Dialoge auf, setzt einige Prosapassagen aus dem Roman als Überleitungen in Szene. Auch hält sich die Regie an den intimen und zugleich realistischen Tonfall des Buches und lässt die Schauspieler leichtfüßig und beiläufig die zum Sterben verurteilte Affäre zwischen der Weißzeug-Stickerin Lene und Baron Botho von Rienäcker darstellen. Das Bühnenbild von Andreas Braun gibt sich hintergründig-intelligent. Bewegliche weiße Lamellen schaffen unterschiedliche Räume und symbolisieren zugleich die verführerische Halb-Durchlässigkeit der Standesgrenzen. Eine sensible Lichtregie (Werner Dittrich) setzt poetische Akzente. Vogelstimmen, Froschgequake, mehrstimmige Gesänge und andere Überraschungen verleihen dem Abend Farbe und Lebendigkeit. Doch auch Irritation und etwas Langeweile schleichen sich in die knapp zweistündigen Irrungen und Wirrungen. Woran liegt‘s?

Wie die Liebe zwischen Botho und Lene leidet auch die Inszenierung unter Zwängen. Da ist der Zwang zur Kleinteiligkeit: Häufig wechselnde Bühnenbilder und viele kurze Szenen in den immer aufgeregt raschelnden Lamellen sorgen für Unruhe auf der Bühne und die wirkt sich nachteilig auf die Spannung aus. Der Zwang zum Tempo macht die Sache nicht besser: Die Schauspieler sprechen auch solche Szenen schnell und leicht, die ein wenig Schwere und Langsamkeit vertragen könnten. Dass die Akteure dabei sehr unterschiedliche Leistungen zeigen, hat mit Zwängen weniger zu tun, ist aber dennoch schade. Neben der wie immer überragenden Linda-Moran Braun, mal als kindlich- verträumte, mal trotzig-selbstbewusste Lene, wirkt Mathias Lodd als Botho häufig hölzern. Er überzeugt in Szenen, wo die Lamellen ruhig bleiben und ein nachdenklicher Botho als märkischer Hamlet die Untiefen seiner Seele erforscht. Ein Anlass nachzudenken, wo der Widerstand gegen die alles bestimmende Zweckmäßigkeit endlich anfangen könnte.

20:00 Uhr, Freies Werkstatt Theater Köln, Infos: 0221-327817