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Archiv-Artikel

Vereinigung in Kalmückien

Nach dem heute beginnenden Denkduell des Russen Wladimir Kramnik mit dem Bulgaren Wesselin Topalow wird es nur noch einen Schach-Weltmeister geben

BERLIN taz ■ „Es wird Zeit, dass nach 13 Jahren Chaos wieder Ordnung in die Schachwelt einkehrt und wir nur einen einzigen König haben.“ Selbst Anatoli Karpow, der 1993 als zweiter russischer Weltmeister neben Garri Kasparow von Verhältnissen wie im Profiboxen profitierte, hat genug von der misslichen Lage. „Um ehrlich zu sein: Der Ausgang ist egal. Wichtiger ist, dass es nur einen Weltmeister gibt“, assistiert Judit Polgar. Die WM-Achte aus Budapest fiebert deswegen dem Duell der Weltmeister entgegen, die sich ab heute gegenübersitzen: der Bulgare Wesselin Topalow, offizieller Champion des Schach-Weltverbandes Fide, trifft auf Wladimir Kramnik, so genannter Weltmeister im klassischen Schach.

Der Bulgare hält sich zwar auch für den einzig legitimen Weltmeister, sieht die Herausforderung aber sportlich: „Der Weltmeister muss jederzeit beweisen, dass er der Beste ist. Deshalb akzeptierte ich das Match. Zudem geht es um viel Geld.“ Unabhängig vom Endstand nach zwölf Partien erhalten beide Großmeister die Hälfte des Preisfonds in Höhe von einer Million Dollar.

Weil die unklaren Verhältnisse an der Spitze Sponsoren abschreckten, griff der Fide-Präsident erneut in seine Privatschatulle. Kirsan Iljumschinow lässt dafür Topalow und Kramnik in der Steppe Kalmückiens antreten. Der 44-Jährige ist dort auch Präsident der autonomen russischen Republik. Der Zweikampf, der im Falle eines 6:6 am 12. Oktober mit einem Schnellschach-Tiebreak endet, findet in der von Iljumschinow erbauten „Schach-Stadt“ in Elista statt.

Nach der Weltrangliste müsste der Zweikampf eine klare Angelegenheit werden: Topalow führt in dieser mit großem Vorsprung. Kramnik findet sich erst auf Platz 4. Doch sowohl Karpow als auch Polgar sehen keinen Favoriten und erwarten zwischen den beiden 31-Jährigen ein „ausgeglichenes, großartiges Duell mit interessanten Partien“. Die Ungarin ergänzt: „Topalow ist ein unglaublicher Kämpfer, der vor Energie strotzt. Ich halte Kramnik aber für einen großen Spieler, der mehr Erfahrung in Zweikämpfen besitzt.“

Letzterer baut ebenso darauf. „Kasparow hat damals auch alle Turniere gewonnen und zog doch den Kürzeren gegen mich. Ich fürchte mich nicht vor Topalow“, unterstreicht Kramnik. Die bisherige Bilanz in 60 Partien spricht eindeutig für ihn. Er verbuchte 18 Siege bei nur 9 Niederlagen und 33 Remis. Zudem hat der Sohn eines Bildhauers und einer Musiklehrerin seine Formkrise überwunden, nachdem eine langwierige Krankheit als rheumatische Arthritis erkannt und behandelt wurde. Bei der Schach-Olympiade in Turin erzielte Wladimir Kramnik das beste Einzelresultat und gewann überdies zum siebten Mal das Weltklasseturnier in Dortmund.

Wladimir Kramnik hat durch die bevorstehende Titelvereinigung eine „Welle der Begeisterung“ ausgemacht, die es unabhängig vom Ergebnis „in die richtigen Bahnen zu lenken“ gelte. Der exzentrische Fide-Präsident Iljumschinow pflichtet dem bisherigen Gegenspieler hier ausnahmsweise bei. „Nach diesem Duell wird es endlich wieder nur einen Champion geben – und Schach ist wieder eins.“ HARTMUT METZ