: Vorsicht, Frieden!
Die palästinensische Einheitsregierung und die Arabische Liga setzen Israel unter Druck: Nahost-Verhandlungen rücken wieder näher. Genau davor fürchtet man sich in Israel
Ein Gespenst geht um in den Korridoren der Macht in Jerusalem: Ein schrecklicher Feind hat sich verschworen, uns Frieden aufzuerlegen. Er nähert sich uns von zwei Seiten, in einer großen Zangenbewegung. Die eine Seite geht von der palästinensischen Einheitsregierung aus, die gerade im Entstehen begriffen ist. Die andere Seite geht von der Arabischen Liga aus, die entschieden hat, den arabischen Friedensplan wieder zu beleben. Aus der Perspektive der israelischen Regierung ist diese Entwicklung weit bedrohlicher als alle Raketen Hassan Nasrallahs zusammen.
Die palästinensische Einheitsregierung ist in erster Linie dazu gedacht, die internen Probleme der Palästinenser zu lösen. Seitdem das palästinensische Volk die Hamas gewählt hat, herrscht auf der palästinensischen Straße Anarchie. Die ständigen Auseinandersetzungen zwischen dem Präsidenten, der der Fatah vorsteht, und dem Ministerpräsidenten, der zur Hamas gehört, haben einen Zustand der Lähmung geschaffen.
Die Fatah dominiert die moderne palästinensische Nationalbewegung seit ihrer Gründung durch Jassir Arafat vor fast 50 Jahren; sie hat sich mit ihrer Niederlage nicht abgefunden. Aber ein Volk, das um seine reine Existenz kämpft, kann es sich nicht leisten, dass seine beiden wichtigsten Gruppierungen gegeneinander kämpfen, statt gemeinsam für die nationale Befreiung zu streiten.
Nicht zu vergessen ist die Blockade, die der palästinensischen Behörde durch Europa und die USA – auf Befehl von Bush – auferlegt wurde. Sie stellt einen noch nie da gewesenen Versuch dar, ein ganzes Volk buchstäblich auszuhungern, damit es seine demokratisch gewählte Regierung absetzt. Die Einheitsregierung ist dazu bestimmt, die öffentliche Ordnung wieder herzustellen und den internationalen Boykott zu beenden.
Damit dies geschieht, muss die Regierung einige Hindernisse überwinden. Für die Hamas ist es schwierig, Israel offiziell anzuerkennen. Dies hat nichts mit Antisemitismus zu tun, wie gerne behauptet wird, sondern mit religiösen Gründen: Nach islamischer Auffassung stellt das Land Palästina ein religiöses Stiftungsland (Waqf) dar, das allein Allah gehört. (Das ähnelt dem jüdisch-fundamentalistischen Glauben, dass Gott uns dieses Land versprochen hat. Wer einen Teil davon aufgibt, begeht eine Sünde.) Aber diese islamische Auslegung lässt eine Hintertür offen, indem sie eine langfristige Hudna (Waffenstillstand) ermöglicht, die Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dauern kann.
Um dieses Dilemma zu lösen, muss die von der Hamas angeführte Einheitsregierung dazu gebracht werden, dem „Gefangenen-Dokument“ zuzustimmen, den UN-Resolutionen sowie den zwischen Israel und der PLO unterzeichneten Abkommen und dem arabischen Friedensplan. Sie alle basieren auf der Anerkennung Israels. Das sollte daher jedem genügen, der wirklich einen israelisch-palästinensischen Frieden wünscht. Soweit dies unsere Regierung betrifft, liegt genau hier der Hase im Pfeffer.
Der zweite Teil der Friedensoffensive besteht in der Wiederbelebung des arabischen Friedensplanes. Dieser Plan wurde ursprünglich von Abdallah, dem damaligen Kronprinzen und jetzigen König von Saudi-Arabien, ersonnen und beim Gipfeltreffen der arabischen Staatsoberhäupter in Beirut im März 2002 angenommen. Der Plan lautet in etwa so: Die ganze arabische Welt wird Israel anerkennen und mit ihm Frieden schließen, wenn es sich auf die Grenzen von 1967 zurückzieht und die Schaffung eines palästinensischen Staates mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem ermöglicht. Die israelische Regierung wies die Initiative damals umgehend zurück. Der Plan verschwand in irgendeiner Schublade, und seitdem hat sich eine dicke Staubschicht darauf gelegt. Nun haben die fiesen Araber entschieden, diesen Plan zu entstauben und ihn wieder auf den Tisch zu legen.
Gegen diese Gefahr der arabischen Friedenstreiber mobilisiert die Olmert-Regierung derzeit alle Kräfte. Obwohl die politische und militärische Führung ganz damit beschäftigt ist, nach dem Libanon-Fiasko um ihr Überleben zu kämpfen, rückt sie angesichts dieser schrecklichen Bedrohung zusammen. Außenministerin Zipi Livni wurde Hals über Kopf in die USA geschickt, um die Gefahr abzuwenden. Dort bemühte sie sich, Präsident Bush davon zu überzeugen, das US-Veto gegen eine Friedensresolution des UN-Sicherheitsrates einzusetzen. Vom Dachboden des Außenministeriums nahm sie zu diesem Zweck einen diplomatischen Papierfetzen mit, der „Roadmap“ genannt wird. Der israelischen Regierung war es bislang nie in den Sinn gekommen, dieses Abkommen umzusetzen, dessen einziger Zweck von Anfang an war, den Eindruck zu erwecken, dass Präsident Bush im Nahen Osten irgendetwas erreicht habe. Aber alle Parteien wussten von Anfang an: Es ist ein Dokument, das nicht umgesetzt werden kann.
Israel und die USA werden deshalb erklären, dass der arabische Plan dem Frieden schade, weil er der Roadmap widerspricht. Die palästinensische Einheitsregierung, wenn sie denn zustande kommt, müsse weiter boykottiert werden, solange nicht alle ihre Mitglieder explizit den Staat Israel anerkennen (als ob alle Mitglieder der israelischen Regierung bereit wären, den Staat Palästina und seine Regierung anzuerkennen, geschweige denn der Gewalt abzuschwören und alle bestehenden Abkommen auszuführen). Deshalb muss die Blockade des palästinensischen Volkes weitergehen, bis es auf Knien rutscht.
Warum fürchtet die israelische Regierung diese Friedensoffensive so sehr? Wenn uns jemand am 4. Juni 1967 erzählt hätte, dass die ganze arabische Welt bereit wäre, mit uns in den damals bestehenden Grenzen Frieden zu schließen, dann hätten wir uns gefühlt, als wäre der Messias nahe. Aber am 5. Juni 1967 starteten wir einen Krieg, der alles verändern sollte. Bald hatten wir ganz Palästina und weitere Gebiete unter Kontrolle. Wir erklärten damals, dass wir sie nur vorübergehend halten wollten, zu Verhandlungszwecken. Aber wie allgemein bekannt, kommt mit dem Essen auch der Appetit. Wir begannen, Gebiete zu annektieren (Ost-Jerusalem und seine Umgebung sowie die Golanhöhen), und überzogen die Westbank mit Siedlungen.
In den Augen der israelischen Führung ist die Friedensinitiative – jede Friedensinitiative – nichts als eine üble Verschwörung, um uns der besetzten Gebiete zu berauben. Sie würde uns zwingen, das Siedlungsunternehmen abzubrechen, das wir seit 1968 ohne Unterbrechung fortgeführt haben und das auch jetzt in vollem Schwange ist. Und sie würde uns zwingen, bestehende Siedlungen abzureißen.
Die arabische Friedensinitiative könnte erfolgreich sein, wenn sie die israelische Öffentlichkeit direkt und eindeutig vor die Wahl stellen würde: Frieden ohne die besetzten Gebiete – oder die besetzten Gebiete ohne Frieden. Nach sechs großen und mehreren kleineren Kriegen sollten wir eigentlich erkennen, dass der Preis der Besetzung zu hoch ist. URI AVNERY