: Deutschland kippt EU-Einigkeit
Keine Aufgabe des Vetorechts, kein Lastenausgleich zur Bewältigung illegaler Migration: Deutschland ist mit dem Treffen der EU-Innen- und Justizminister in Finnland zufrieden
BRÜSSEL taz ■ Am Ende wurde der finnische Innenminister sarkastisch: „Unsere Diskussion war offen und konkret – es ging allerdings hauptsächlich um das Thema Fahrradfahren“, sagte er. EU-Innenkommissar Franco Frattini hatte beim Justiz- und Innenministertreffen im finnischen Tampere den Reigen eröffnet, als er die Europäische Union tiefsinnig mit einem Fahrrad verglich: „Entweder es fährt – oder es fällt um.“ Fast jedem der mehr als fünfzig anwesenden Minister fiel dazu etwas ein. Bei der Flüchtlingspolitik und der gemeinsamen Verbrechensbekämpfung kam man hingegen keinen Schritt weiter.
Gestern früh schalteten die finnischen Gastgeber Kameras und Mikrofone im Sitzungssaal aus. Hinter verschlossenen Türen, so ihre Hoffnung, würden die Deutschen ihren Widerstand dagegen aufgeben, künftig auf EU-Ebene mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden, das nationale Vetorecht aufzuheben und das Europaparlament einzubeziehen. Der Zwang zur Einstimmigkeit unter fünfzig Justiz- und Innenministern hat das Gremium bislang völlig gelähmt. Ohne Zeugen rauften sich die Teilnehmer aber auch nicht zusammen. Zwanzig Redner hätten Stellung bezogen, nur fünf davon zugunsten des finnischen Vorschlags zur Einstimmigkeit, erzählte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hinterher triumphierend.
Offiziell begründet die Bundesregierung ihren Widerstand damit, dass die gar nicht in Kraft getretene EU-Verfassung geschwächt würde, wenn einzelne Bausteine daraus vorab in Kraft träten. Außerdem müssten alle 25 Parlamente zustimmen, wenn Gesetze im Bereich der Justiz- und Innenpolitik künftig mit Mehrheit und unter Mitwirkung des Europaparlaments verabschiedet werden sollten. Das sei ähnlich langwierig wie der Verfassungsprozess selber.
Dem widersprach Innenkommissar Frattini. „Die Möglichkeit, das Vetorecht abzuschaffen, eröffnet schon der geltende EU-Vertrag. Die nationalen Parlamente könnten das Thema alle am gleichen Tag auf die Tagesordnung setzen. Mit ihrer Zustimmung würden sie dafür sorgen, dass ihre Bürger für die Zukunft mehr Sicherheit bekämen.“ Die Änderung würde auch dafür sorgen, dass künftig das Europaparlament mit entscheidet und der Europäische Gerichtshof die Umsetzung überwachen kann.
Auch bei der Gesprächsrunde darüber, wie die Flüchtlingsbelastung gerechter zwischen den EU-Mitgliedern verteilt werden könnte, war das Gesprächsklima ausgesprochen frostig. Zwar hörte sich der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble die Bitten seiner spanischen, italienischen und maltesischen Kollegen höflich an. Doch hinterher sagte er: „Der Ruf nach dem Geld anderer ist immer der bequemste.“ In den Zeiten, wo Deutschland bis zu 800.000 Flüchtlinge im Jahr habe aufnehmen müssen, sei von Solidarität schließlich auch nicht die Rede gewesen. Der bayrische Innenminister Beckstein sagte, Spanien werde „nicht daran zugrunde gehen, dass 20.000 oder 25.000 Flüchtlinge auf die Kanarischen Inseln kommen“.
Scharfe Kritik übten die deutschen Minister und ihre Kollegen aus Österreich und den Niederlanden an der spanischen Legalisierungspolitik. Im vergangenen Jahr hatten die spanischen Behörden fast 700.000 illegal eingereisten Flüchtlingen ein Bleiberecht eingeräumt. Bevor über EU-Hilfen gesprochen werden könne, müsse Spanien sicherstellen, dass jeder Flüchtling in der Fingerabdruck-Datenbank Eurodac registriert und hinterher abgeschoben werde. „Weil dann Freunde und Bekannte sehen, dass es keinen Erfolg und keinen Sinn hat, die gefährliche Reise übers Meer anzutreten“, erklärte Schäuble.
DANIELA WEINGÄRTNER