Verstreute Verweise

NEUE PERSPEKTIVEN Die „Brecht-Haus-Lectures“ im Literaturforum des Brecht-Hauses sollen Werk und Theorie des Namenspatrons aus einem ungewohnten Blickwinkel zeigen. Zur Auftaktveranstaltung kam der Freiburger Kulturtheoretiker Klaus Theweleit

Theweleit zieht einen Godard-Film heran, um die Brecht’sche Theorie zu erklären

Das Literaturforum im Brecht-Haus hat eine neue Reihe ins Leben gerufen: Die „Brecht-Haus-Lectures“ sollen neue, fremde Blicke auf das Schaffen des Namenspatrons entwickeln und präsentieren. Denkt man an Brecht, kommen einem automatisch Begriffe wie „episches Theater“, „Verfremdungseffekt“ und Stücke wie „Die Dreigroschenoper“ in den Sinn. Diesem Grundwissen will das Literaturforum im Brecht-Haus ungewohnte Perspektiven hinzufügen.

Zweimal im Jahr soll nun das Schaffen des Dramatikers und Lyrikers mit den Lectures auf unterschiedlichste Art und Weise beleuchtet werden. Für die Auftaktveranstaltung am Dienstag war der Freiburger Kulturtheoretiker und Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit geladen. Die Journalistin und taz-Autorin Sonja Vogel begrüßt Theweleit mit den Worten, dass er ein Allesdenker und Allesverwerter sei, der Schreib- und Denkkonventionen überschreite. Dieser gesteht dann auch gleich zu Beginn, er sei kein besonders großer Brecht-Fan.

Antihaltung

Das ist ihm während der Veranstaltung durchaus anzumerken. Seine Antihaltung gegenüber Brecht verstärkte den Eindruck, dass er keine Lust zu eigenen Gedankengängen hatte. Theweleit zitiert lediglich Menschen, die sich mit Brecht beschäftigt haben, und gibt dazu bissige Kommentare ab.

Seit er 23 ist, so erzählt Theweleit, würde er sich mehr fürs Kino als fürs Theater begeistern, weswegen er den Filmklassiker „Les Carabiniers“ (1963) des französischen Regisseurs Jean-Luc Godard heranzieht, in dem Theweleit Teile der Brecht’schen Theorie angewendet sieht. Deutlich wird das in den Verfremdungseffekten, im Gestus des Zeigens und im Realismusbegriff.

In einem Filmausschnitt befiehlt der Protagonist einer Frau, sich auszuziehen, wobei er seine Waffe auf ihren Schoß richtet und auf ihr reitet. Plötzlich wird die Handlung mit einem scharfen Schnitt abgebrochen. „Schlimmere Szenen einer Vergewaltigung kommen hier nicht vor“, erklärt Theweleit auf Brecht verweisend, der dies als den Gestus des Zeigens definiert hätte, den die Zuschauer weiterdenken müssen. Um die verstreuten Verweise auf Brecht im Werk Godards entdecken zu können, kommt Theweleit auch auf Brechts Schrift „Kleines Organon für das Theater“ zu sprechen.

Ein Teil daraus besagt, dass sich der Schauspieler das Wissen der Zeit über das menschliche Zusammenleben aneignen müsse, indem er die Kämpfe der Klassen mitkämpfe. Brecht geht zudem davon aus, dass die Gesellschaft kein gemeinsames Sprachrohr habe, solange sie in kämpfende Klassen gespalten sei. Theweleit bezeichnet diese Aussage als „linksdogmatischen Quatsch“ und „pastoralen Schwachsinn“ und behauptet, dass zweifelsohne jeder Mensch über den kämpfenden Klassen stehen könne. In der Podiumsdiskussion hört Theweleit den Einwand, dass Schauspieler nach der Theorie Brechts eben nicht über den Klassen stehen sollen.

Es entfacht sich ein Streit über die Auslegung des „Kleinen Organons“. Die Kritik prallt aber an Theweleit ab, der kaum darauf eingeht. In den Gesichtern des Publikums zeichnet sich bald Müdigkeit ab. Zu lang waren die Godard-Filmausschnitte, die von Theweleit unkommentiert blieben. Manche ziehen leise ihre Jacken an und schleichen aus der Tür. Ein neuer, ein ungewohnter Blick auf Brechts Schaffen, er ist Klaus Theweleit nicht geglückt. Seine provokativen Kommentare hätten interessant sein können, wenn er sie argumentativ begleitet hätte. Dazu sah er aber trotz Kritik keinen Anlass.

LISA MAUCHER