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Therapie soll im Knast beginnen

SICHERUNGSVERWAHRUNG Arbeitsgruppe von Rechtsexperten aus Berlin und Brandenburg will zum Ende des Jahres einen Entwurf vorlegen, wie es mit der Haft nach der Haft weitergeht

„Wenn schon Sicherungsverwahrung, dann muss man sie menschlich gestalten“

RECHTSANWALT SEBASTIAN SCHARMER

VON PLUTONIA PLARRE

Die justizpolitische Debatte dreht sich seit Monaten um kein anderes Thema: Was tun mit Menschen, die zum Teil schwerste Straftaten begangen haben, durch jahrzehntelange Haft schwer hospitalisiert sind und nun alsbald aus dem Gefängnis entlassen werden müssen? Auch am Montagabend, bei einer von der Linkspartei im Abgeordnetenhaus organisierten Veranstaltung, ging es um die Sicherungsverwahrung.

Gleich zwei Justizminister saßen auf dem Podium – die rot-roten Landesregierungen in Berlin und Brandenburg machen es möglich. Einen visionären Vorschlag konnten Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) und ihr brandenburgischer Kollege Volkmar Schöneburg (Linkspartei) zwar nicht präsentieren. Aber die pragmatische, unaufgeregte Diskussion wirkte wohltuend angesichts der aufgeheizten öffentlichen Stimmung, die von einigen Medien derzeit geschürt wird.

Neun Inhaftierte sind in Berlin von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte betroffen. Die Straßburger Richter hatten die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung unter bestimmten Voraussetzungen für menschenrechtswidrig erklärt. Auch wenn die Boulevardmedien so tun, als sei es schon morgen so weit: Es wird noch Monate dauern, bis sich für diese Männer die Gefängnistore öffnen. Laut von der Aue wird in allen Fällen zuvor eine Entscheidung des Bundesgerichtshof eingeholt.

Unabhängig davon sei aber schon im Frühjahr 2010 mit der individuellen Vorbereitung auf die Entlassung begonnen worden, berichtete der Tegeler Anstaltsleiter, Ralf Adam. Das große Problem sei, diese Menschen in Freiheit geeignet unterzubringen. Man habe bei vielen Einrichtungen angefragt. Aber wegen der großen öffentlichen Aufregung hätten viele Abstand genommen. „Aber wir haben gute Ideen, und die Kontakte zu den freien Trägern werden immer besser“, gab sich Adam optimistisch.

Senatorin von der Aue sorgt sich, dass eine Integration scheitere, weil die Medien eine negative Stimmung schürten. Sie betonte, dass sie die diffusen Ängste ernst nähme. Aber das Risiko, rückfällig zu werden, sei weitaus größer, wenn die Entlassenen in die Obdachlosigkeit abgedrängt würden, appellierte von der Aue an die gesellschaftliche Verantwortung der Medien.

Diskutiert wurde aber nicht nur über die konkreten Fälle, sondern ganz grundsätzlich über die Frage: „Wie weiter mit der Sicherungsverwahrung?“ Eine Arbeitsgruppe von Experten aus Berlin und Brandenburg werde zum Ende des Jahres in einem Eckpunktepapier Vorstellungen entwickeln, wie die Sicherungsverwahrung künftig aussehen könne, kündigte von der Aue an. Der brandenburgische Justizminister Schöneburg machte keinen Hehl daraus, dass seiner Meinung nach die Sicherungsverwahrung abgeschafft gehöre. Das sei aber unrealistisch. Das Ziel könne darum nur lauten: Eine vernünftige, humane Einrichtung mit einem entsprechenden Therapieangebot für die Verurteilten zu schaffen. Denkbar sei, dass Berlin und Brandenburg diese Einrichtung gemeinsam betrieben. In Berlin sitzen zurzeit 41 Menschen in Sicherungsverwahrung, in Brandenburg sind es sieben. Die Therapie müsse schon während der Haft angeboten werden.

„Wenn schon Sicherungsverwahrung, muss man sie menschlich gestalten“, forderte Rechtsanwalt Sebastian Scharmer vom Republikanischen Anwaltsverein. Das A und O sei das Geld, bestätige von der Aue: „Wir haben konkrete Vorstellungen, aber die sind nur umzusetzen, wenn wir mehr Geld bekommen.“ Das Problem sei allerdings, so die Senatorin: „Sicherungsverwahrte haben keine Lobby.“

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