: Die libanesischen Schiiten feiern ihren Sieg
Hunderttausende nehmen an einer Kundgebung mit Hisbollah-Chef Nasrallah teil. Auch die Konkurrenz ist dabei. Die Islamisten sehen in der Stationierung von UN-Truppen keine Gefahr. Innenpolitisch bleibt das Land gespalten
TANGER taz ■ Seit dem Waffenstillstand am 14. August sind die Hisbollah-Plakate vom „göttliche Sieg“ im Libanon allgegenwärtig. Am vergangenen Freitag durfte nun endlich gefeiert werden. Mehrere hunderttausend Menschen kamen aus dem ganzen Land mit Bussen, Taxis, aber auch zu Fuß nach Beirut, um an der „Siegeskundgebung“ im zerstörten Süden der Hauptstadt teilzunehmen. Zum ersten Mal bei einer Hisbollah-Großveranstaltung waren diesmal auch die grünen Fahnen der sonst rivalisierenden schiitischen Amal-Bewegung von Parlamentspräsident Nahib Berri zu sehen.
„Der Widerstand ist nach dem Krieg so stark, wie nie zuvor“, sagte Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah auf der Kundgebung. Es ist sein erster öffentlichen Auftritt seit über zwei Monaten. „Keine Armee der Welt kann uns die Waffen aus der Hand nehmen.“ Über 20.000 Raketen in den Arsenalen der Hisbollah und die Guerilla seien nach wie vor an der Grenze zu Israel stationiert, erklärte Nasrallah den jubelnden Menschen. Die UN-Truppen würden daran nichts ändern.
Der Generalsekretär sprach damit aus, was längst bekannt ist. Die Stationierung der UN-Soldaten ist letztendlich nur ein symbolischer Akt. Waffen müssen nicht mehr in den Libanon geschmuggelt werden, sie befinden sich schon dort. Hisbollah-Kämpfer wohnen mit ihren Familien in den Dörfern im Grenzgebiet, die geheimen Bunkersysteme der Miliz sind noch intakt und werden selbst von der libanesischen Armee nicht angetastet. Schließlich gibt es seit vielen Jahren ein gutes Verhältnis zwischen Armeeführung und Hisbollah. Zudem sind etwa 60 Prozent aller libanesischen Soldaten Schiiten und haben Verwandte und Freunde in der Miliz.
In seiner Rede kritisierte Nasrallah auch die Regierung von Premierminister Fuad Siniora, die weder fähig sei, den Libanon zu beschützen, noch wieder aufzubauen. Der Generalsekretär forderte die Neubildung einer Regierung der „nationalen Einheit“, die nicht korrupt und militärisch stark sei. Zudem müsse das Wahlrecht den demografischen Gegebenheiten angepasst werde. Forderungen, bei denen Nasrallah nur von dem Christ Michel Aoun und seiner „Freiheitlichen Patriotischen Bewegung“ unterstützt wird. Beide sind etwa zwei Monate vor Kriegsbeginn offiziell eine Allianz eingegangen. Die Hisbollah und die „Patrioten“ repräsentieren knapp über 50 Prozent der Bevölkerung. Im Editorial der Tageszeitung Daily Star hieß es: „Die Bedingungen Nasrallahs sind genau das, was der Libanon braucht.“ Aber dem Regierungsbündnis, zu dem Multimilliardär Saad Hariri mit seiner „Zukunftsbewegung“ sowie Drusenchef Walid Dschumblat von den „Progressiven Sozialisten“ gehören, gefällt das wenig. Für sie ist die Hisbollah eine iranische Partei, die den Libanon für einen Stellvertreterkrieg missbraucht hat. Tatsächlich müssten gerade Hariri und Dschumblat bei einer „nationalen, sauberen Regierung“ auf Ämter und Einfluss verzichten. Im von Klanstrukturen geprägten Libanon käme das einer Revolution gleich.
ALFRED HACKENSBERGER