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Archiv-Artikel

CDU-Arzt geht auf Sozialdemokraten zu

Schlichtung im Gesundheitsstreit? Unions-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer bringt eine höhere Steuerfinanzierung der Gesundheitskosten wieder ins Gespräch. Die SPD-Spitze reagiert erfreut: Dieser Vorschlag weise in die richtige Richtung

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Jenseits allen Kampfgeschreis und aller aufregenden Spekulationen um ein Ende der Regierung scheint es auch noch Politiker aus Union und SPD zu geben, die den Streit um die Gesundheitsreform schlichten wollen. Wolfgang Böhmer zum Beispiel. Der gelernte Arzt und CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt bremste am Wochenende seine Parteikollegen aus Bund und Ländern, die einen höheren individuellen Zusatzbeitrag für Krankenversicherte fordern.

Die Obergrenze von 1 Prozent des Einkommens sei mit der SPD vereinbart worden, sagte Böhmer. „Wer sie jetzt in Frage stellt, hat vorher offensichtlich nicht aufgepasst.“ Auch er hielte eine höhere Grenze zwar für wünschenswert, erklärte Böhmer. Aber wenn sich die SPD hier weigern sollte, was ihr gutes Recht sei, müsse eben nach anderen Stellschrauben gesucht werden, um das Gesundheitssystem zu finanzieren, „etwa in Form von Zuschüssen aus Steuermitteln“.

Die SPD reagierte angetan. Böhmers Vorschlag weise in die richtige Richtung, erklärte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Kein Wunder: Es ist ein alter SPD-Vorschlag. Schon bei den ersten Verhandlungen über die Gesundheitsreform im Frühsommer hatten die Sozialdemokraten darauf gedrängt, bei der Finanzierung des Gesundheitssystems künftig wesentlich stärker als bisher auf Steuermittel zurückzugreifen. Auch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hieß es damals, sie stehe dem Unterfangen wohlwollend gegenüber.

Kurz vor der entscheidenden Verhandlung über die Eckpunkte der Reform hatten zahlreiche Ministerpräsidenten der Union jedoch ihr Veto gegen die Verwendung nennenswerter Steuermittel eingelegt. Heraus kam ein Kompromiss über einen „Gesundheitsfonds“, in den Arbeitgeber und Arbeitgeber einzahlen sollen, mit dem aber sowohl SPD als auch Union höchst unzufrieden sind. Was lange nur hinter vorgehaltener Hand zugegeben wurde, sprechen immer mehr Politiker der Koalitionsparteien inzwischen offen aus: Er habe noch niemanden getroffen, der ihm den Sinn dieser Reform erklären konnte, spottete Stuttgarts CDU-Oberbürgermeister Wolfgang Schuster am Wochenende. Angesichts des Streits sei es „ausgeschlossen“, dass die Gesundheitsreform noch „der große Wurf“ werde, erklärte Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU).

Besonders umstritten bleibt die Frage, was passieren soll, wenn den Kassen die Mittel aus dem geplanten Fonds nicht ausreichen. Die Bild am Sonntag berichtete von angeblichen Zugeständnissen der SPD. Um die Wogen zu glätten, sollen die Sozialdemokraten geneigt sein, dem Koalitionspartner einen möglichen Kompromiss beim Streit um die Zusatzprämie anzubieten: So solle sich die Obergrenze von einem Prozent auf das Bruttoeinkommen beziehen statt wie bisher geplant auf das Nettoeinkommen. „Das ist ein absurder Gedanke“, sagte jedoch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der taz. „Das würde diejenigen bestrafen, die bereits hohe Abgaben bezahlen, nämlich Arbeitnehmer und Steuerzahler.“

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