: Vitamin B für Junkies
Urteil im „Apotheker-Prozess“: Landgericht verhängt wegen Betruges 14 Monate auf Bewährung. Der Ex-Apotheker soll sich mit HIV-Rezepten um mindestens 160.000 Mark bereichert haben
von Jan Zier
Seine eigene Verurteilung mag sich Dr. F. erst gar nicht mehr anhören. Er hält das Verfahren gegen ihn ohnehin für eine Gerichtsposse. „Sie erzählen einfach Blödsinn“, schreit er der Richterin entgegen. „Und sie wissen das.“ Sagt’s – und verabschiedet sich mit einem Türknall aus dem Saal.
14 Monate auf Bewährung wegen gewerbsmäßigen Betrugs, dazu 1.200 Euro Geldstrafe: Die Berufungsrichter am Landgericht hegten keine Zweifel an der Schuld des angeklagten Apothekers. Sie sehen es nach gut achtmonatiger Verhandlung als erwiesen an, dass er HIV-infizierten Drogenabhängigen statt der verschriebenen Medikamente bis zu 800 Mark bar auf die Hand gab – die Rezepte aber sehr wohl mit den Krankenkassen abrechnete. Allein 1998 und 1999 soll sich F. auf diese Weise um mindestens 160.000 Mark bereichert haben. Anschließend wurde seine Apotheke in der Neustadt geschlossen, die Approbation entzogen.
Das kommt einem Berufsverbot für den 60-Jährigen gleich – weswegen die Berufungsrichter gestern auf die Verhängung eines solchen verzichteten. Das Amtsgericht hatte 2003 neben einer Bewährungsstrafe von einem Jahr noch ein einjähriges Berufsverbot erlassen.
Heinz F. indes, der heute als Assistent in einer Apotheke jobbt und ansonsten von der Stütze lebt, präsentiert sich als unschuldig, als „Opfer einer Kampagne“. Zentrum dieser Verschwörung: die Apothekenaufsicht. Genauer gesagt: Bremens Pharmaziedirektor und seine Frau – eine Apothekerin aus der Neustadt. Ihr Motiv: Neid. Gerade HIV-Medikamente waren teuer zu jener Zeit, pro Rezept kamen da schnell mehrere Tausend Mark zusammen.
Die Geschäftszahlen des Angeklagten ließen in der Tat Neid aufkommen. Und Zweifel. Binnen eines Jahres stiegen die Umsätze mit HIV-Präparaten in seiner Apotheke um das Siebenfache, auf zuletzt fast 700.000 Mark. „Und es gibt keine Erklärung für diese steigenden Umsätze“, sagt die Richterin.
„Ich war freundlich und beliebt, ich war gut in der Beratung“, konterte der Angeklagte in der Hauptverhandlung. Eine Freundlichkeit indes, die viele PatientInnen „gar nicht erst erreichte“, wie die Richterin süffisant anmerkte. Viele Rezepte wurden von Mittelsmännern eingereicht.
Die Vorwürfe F.s findet das Gericht ohnehin konstruiert. „Wir mussten uns mit dieser These nicht länger befassen.“ Schon deshalb nicht, weil F. mit seiner Apotheke bei den Kassen sehr viel mehr HIV-Medikamente abrechnete, als nachweislich eingekauft wurden. Und wenn die PatientInnen die alle brav genommen hätten, meinte ein Arzt während der Berufungsverhandlung, „dann müssten sie jetzt tot sein“. Oder zumindest schwere Nierensteine haben.
F. beharrt darauf: Alle PatientInnen bekamen ihre Medikamente ausgehändigt. Dass sein Wareneingang nicht zu den hohen Umsätzen passt, begründete er stets mit „dunklen Quellen“, aus denen er Medikamente ohne Beleg bezogen habe, zu einem Drittel des Einkaufspreises im Großhandel. Den Namen dieser günstigen Apotheke indes wollte der Angeklagte schon im letzten Prozess partout nicht nennen – aber freigesprochen werden.
Nur im Publikum findet sich dafür noch ein einsamer Unterstützer. „Unglaublich“, schallt es immer wieder aus den Zuschauerreihen. „Nicht als Drogensüchtige“ wisse das Gericht auf seiner Seite, „Leute die nicht sprechen können.“ Die Richterin kann sich solcher Einwürfe nicht erwehren.
„Der Angeklagte pflegt fragwürdige Beziehungen“, wird sie später sagen. Beziehungen, die ihm weit mehr eingebracht haben sollen, als jene 160.000 Mark, für die er am Ende verurteilt wird. Davon ist das Landgericht überzeugt, die Staatsanwaltschaft auch. Sie schätzt den entstandenen Schaden auf rund 250.000 Euro.
Er sei „zu geldgierig“ gewesen, soll er seinen MitarbeiterInnen offenbart haben. Doch davon will er heute nichts mehr wissen – und weiter klagen. Sein Anwalt meldete bereits Revision an.