: „Keine Gefahr für Europa“
Bulgariens EU-Beitritt werde die Wirtschaft der Gemeinschaft stärken und für mehr Sicherheit sorgen, glaubt Präsident Georgi Parwanow
INTERVIEW BARBARA OERTEL
taz: Herr Präsident, der nächste EU-Fortschrittsbericht wird das Beitrittsdatum Januar 2007 wohl bestätigen, aber mit harten Auflagen. Fühlt sich Sofia von Brüssel ungerecht behandelt?
Georgi Parwanow: Ich hoffe, dass sich im EU-Bericht die sichtbaren Fortschritte in allen Punkten niederschlagen, die noch im letzten Bericht kritisiert worden waren, und dass das Beitrittsdatum 1. Januar 2007 bestätigt wird. Keinesfalls würde ich das Verhalten der europäischen Institutionen Bulgarien gegenüber als skeptisch ansehen, der Dialog basierte die ganze Zeit auf gegenseitigem Respekt.
Auch wenn der Beitrittstermin steht, könnten im Falle Bulgariens die sogenannten Schutzklauseln greifen.
Ich glaube nicht, dass Brüssel auf Schutzklauseln zurückgreift und dass es auch keine anderen Einschränkungen geben wird. Was das Kapitel Justiz und Inneres angeht, da haben wir wirkliche Fortschritte zu verzeichnen. Zudem würde die Anwendung solcher Schutzklauseln die weitere Arbeit nur erschweren. Natürlich gibt es auch nach dem Beitritt noch viel zu tun, aber da sind andere Formen der Zusammenarbeit denkbar.
Das Kapitel Justiz und Inneres macht Brüssel aber mit die meisten Sorgen. Worin bestehen die Fortschritte?
Unter dem neuen Generalstaatsanwalt sind entscheidende Schritte gemacht worden. Er hat korrupten Mitarbeitern in der Staatsanwaltschaft den Kampf angesagt und gegen mehrere hohe Politiker, zum Beispiel Abgeordnete, durchgegriffen. Dabei geht es nicht um einmalige Maßnahmen, Bulgarien nimmt ja nicht an irgendeinem Wettbewerb teil. Wir haben eine langfristige Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption. Dazu gehören Verfassungsänderungen, die Anpassung der Gesetze und der Austausch von Personal im Justizwesen. Dieser Prozess ist unumkehrbar.
Sie zeichnen ein positives Bild der Entwicklung in den letzten Monaten. Dennoch gibt es viele Menschen in der EU, die Angst vor dem Beitritt Bulgariens haben. In der britischen Presse ist die mögliche Einwanderung bulgarischer Arbeitskräfte ein viel diskutiertes Thema. Was entgegnen Sie den Skeptikern?
Die Bulgaren sind keine Gefahr für den europäischen Arbeitsmarkt. Ich möchte Deutschland als Beispiel nennen. Dort gibt es 13.000 Studenten aus Bulgarien. Das sind gut ausgebildete und qualifizierte Leute. Ich glaube, dass sie nach Bulgarien zurückkommen werden, um dort auch für deutsche Investoren zu arbeiten. Anders gesagt: Ich erwarte eher einen umgekehrten Prozess.
Studien zufolge wird Bulgarien auf absehbare Zeit das ärmste Land in Europa bleiben.
Bulgarien wird die europäische Wirtschaft stärken und nicht schwächen. Wir haben in den letzten Jahren ein durchschnittliches Wachstum des Bruttoinlandsproduktes um 5 bis 6 Prozent, die Arbeitslosigkeit ist von 18 auf 9 Prozent gesunken, die Inflationsrate ist niedrig und die Währung stabil. Vergessen Sie auch eins nicht: Bulgarien leistet auch einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit der EU. Es ist ein Generator von Sicherheit auf dem Balkan. Somit ist der Beitritt von Bulgarien und Rumänien auch eine Investition in die Sicherheit auf dem Balkan.
Am 22. Oktober finden in Bulgarien Präsidentschaftswahlen statt. Ihre Kampagne steht unter dem Motto: ein Präsident für alle bulgarischen Staatsbürger. Was soll der Wähler damit anfangen?
Ich glaube bereits in meiner ersten Amtszeit bewiesen zu haben, dass ich Präsident aller bulgarischen Bürger bin – ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit und Religion.
Trotzdem muss da etwas schief gelaufen sein. Zwei Ihrer Konkurrenten sind Nationalisten, einer davon, Wolen Siderow, wirbt mit rassistischen Parolen. Derartige Phänomene waren bislang in Bulgarien unbekannt.
In Bulgarien gab es schon immer radikale Strömungen, genauso wie in anderen Ländern auch, und die treten eben in bestimmten Situationen auf den Plan. Die Mehrheit der bulgarischen Wähler hat jedoch bei allen bisherigen Wahlen Reife gezeigt. Ich glaube nicht, dass es bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen negative Überraschungen geben wird.
Dennoch bleibt die Frage: Würde eine negative Entscheidung Brüssels, wie beispielsweise die Einführung von Schutzklauseln, diese Kräfte stärken?
Jedes Schwanken Brüssels wird zweifellos denjenigen Kräften Argumente liefern, die Träger euroskeptischer Haltungen in der bulgarischen Gesellschaft sind. Doch ich erwarte nicht, dass diese Bewegung gefährliche Ausmaße annehmen wird, wie auch immer die Bewertung der EU ausfallen wird. Rund 65 Prozent der Bevölkerung unterstützen die EU-Mitgliedschaft und ich sehe nicht, was sie künftig davon abbringen sollte.
Zwei Ihrer Mitkandidaten haben sich auf eine frühere Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit überprüfen lassen und es wurden dafür keine Beweise gefunden. Die beiden haben die anderen Kandidaten aufgefordert, dasselbe zu tun. Ihr Kommentar dazu?
Fast alle Präsidentschaftskandidaten sind bereits mehrmals überprüft worden, als sie für das Parlament kandidiert haben. Sie wurden von einer speziellen Kommission überprüft, die berechtigt ist, in den Archiven zu arbeiten. Die Ergebnisse sind veröffentlicht worden.
Trotzdem gibt es 16 Jahre nach der Wende noch immer keine endgültigen Regeln für den Umgang mit den Akten der kommunistischen bulgarischen Geheimdienste. Das ist nicht gerade eine Empfehlung für Brüssel.
Diese Frage würde ich nicht als Drama bezeichnen. Ein Gesetzentwurf wird gerade vorbereitet und ich hoffe, dass das neue Gesetz bis zum Ende des Jahres verabschiedet werden wird. Doch dieses Problem hat mit unserer EU-Mitgliedschaft nichts zu tun und gehört auch nicht zu den Vorgaben, die die europäischen Institutionen uns gemacht haben.
Seit Tagen demonstrieren tausende Ungarn für den Rücktritt der Regierung. Der Grund dafür sind nicht nur die Lügen im Wahlkampf, sondern wohl auch die Frustration und Enttäuschung vieler Menschen. Sind solche Proteste auch in Bulgarien vorstellbar?
Ich möchte diese Ereignisse nicht kommentieren, das ist eine Angelegenheit der Ungarn. Was Bulgarien angeht, so hat das Land diese Erfahrung vor zehn Jahren gemacht. Ich hoffe, dass sich das nicht wiederholt. Die bulgarische Gesellschaft ist bereits reif genug, um politische und soziale Konflikte bewältigen zu können. Solche Probleme können in einer Demokratie am effektivsten dadurch gelöst werden, dass die Wähler Parteien und Politiker bei Wahlen abstrafen.