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Archiv-Artikel

Das Labyrinth der Brüderlichkeit

VORTRAG Ein Literaturnobelpreisträger, der bei Studenten möglicherweise gar nicht mehr so beliebt ist – im Ibero-Amerikanischen Institut erinnert man an den hundertsten Geburtstag von Octavio Paz

Am 31. März begeht die literarische Welt den hundertsten Geburtstag von Octavio Paz, Mexikos großem Poeten und Essayisten, der 1990 den Literaturnobelpreis erhielt und 1998 leider gestorben ist. Sein bekanntestes Buch heißt „Das Labyrinth der Einsamkeit“.

Um den Dichter zu ehren, gab es am Donnerstag im Simón-Bolivar-Saal des Ibero-Amerikanischen Instituts gegenüber der Neuen Nationalgalerie eine Veranstaltung, auf der der Kulturphilosoph Oliver Kozlarek von der Universidad Michoacana de San Nicolás de Hidalgo in Mexiko einen Vortrag hielt: „Octavio Paz – eine moderne Kritik der modernen Welt“.

G., eine mexikanische Studentin, hatte mich darauf aufmerksam gemacht und erzählt, dass Oliver Kozlarek sehr beliebt sei bei seinen StudentInnen und dass das Spanisch des Kulturphilosophen erfrischend umgangssprachlich sei.

Der berühmte Dichter dagegen sei nicht so beliebt, weil er kritisch gegenüber Linken und Rechten war. Einmal habe er auch gesagt, die PRI – die lange dominierende mexikanische Partei der institutionellen Revolution – regiere wie die Azteken, und das gefiel den Leuten nicht so gut, weil der Vergleich die Azteken beleidige.

Der Potsdamer Platz ist wunderschön in der Abenddämmerung. Ich war stolz darauf, Teil einer studentischen Gruppe sein zu dürfen. B., ein netter mexikanischer Germanistikstudent, und A., eine deutsche Studentin, waren auch dabei. B. entschuldigte sich, dass er nicht so gut Deutsch spreche. A. sagte: „Du sprichst schlecht Deutsch? Hallo?!“ In Wirklichkeit war sein Deutsch nämlich ganz gut.

Mexiko steht gerade Kopf

Peter B. Schumann, der geschäftsführende Vorsitzende der Freunde des Ibero-Amerikanischen Instituts, erklärte einleitend, dass Mexiko gerade Kopf stehe. Es gebe Sondermarken, Parlamentarier aller Parteien hätten aus Paz’ Gedichten vorgelesen, und zwei Millionen Exemplare eines Paz-Buches würden an die Bevölkerung verschenkt. Bei Günter Grass wird es wohl anders sein.

Oliver Kozlarek gab dann einen Abriss der Lebensstationen des „intellektuellen Giganten“ und erklärte alles in anschaulichen Worten. Als er erzählte, dass Paz in den 30er Jahren dem französischen Collège de Sociologie nahegestanden habe, freute ich mich, weil auch ich früher dessen Fan war.

Es ging im Vortrag um die poetische Erfahrung, die Fiesta, die Maske und andere meist ambivalente mexikanische Eigenschaften, die in der Kolonialzeit internalisiert wurden. Später gab es eine Diskussion, und am Ende rezitierte Peter B. Schumann das Gedicht „Brüderlichkeit“ und spielte eine Aufnahme vor, in der Octavio Paz sein berühmtes Gedicht vorliest.

Während G. nach dem Vortrag noch zu einem Bisexuellentreffen in der Schönhauser Straße ging, dachte ich gut gelaunt, dass ich ja nicht mal Monosex schaffe.

DETLEF KUHLBRODT