Nicht nur Futter für die Fanmeile

FUSSBALLFILM Beim „11mm“-Festival im Babylon Mitte will man sich auch dem politischen Wesen des Fußballs nähern

■ Das Festival: „11mm“ ist ein jährlich im Babylon Mitte stattfindendes Fußballfilmfestival. Es findet zum elften Mal statt und läuft noch bis Dienstag, 1. April. Organisiert wird das Festival von der Berliner Organisation Brot + Spiele e. V., unterstützt von der DFB-Kulturstiftung Theo Zwanziger.

■ Die Filme: „Union fürs Leben“, die Doku über Union Berlin, ist am Sonntag um 19 Uhr und am Dienstag um 21.30 Uhr zu sehen. „Mundial. The Highest Stakes“ wird am heutigen Samstag um 19.45 Uhr gezeigt. Der Film „Liga Terezin“ läuft am Sonntag um 17 Uhr. Die Brasilien-Filme: „Memórias do Chumbo“ läuft am Sonntag um 17.15 Uhr, „Fla x Flu“ am Sonntag um 19.30 Uhr, und „Isto é Pelé“ am Samstag um 20 Uhr und Dienstag um 19.30 Uhr.

■ Das Extra: Nicht nur Kino gibt es bei „11mm“, sondern auch Konzerte und Lesungen und dazu noch ein spezielles Filmprogramm für Kinder und Jugendliche. Information: www.11-mm.de (jut)

VON JENS UTHOFF

Angesichts der Omnipräsenz des Fußballs in der Öffentlichkeit mag sich so mancher fragen, warum zur Hölle Berlin auch noch ein jährliches Fußballfilm-Festival braucht – zumal die Stadt sich ohnehin bald mit dem DFB-Pokalfinale und der Fanmeile zur Weltmeisterschaft vor Fußball kaum mehr wird retten können.

Die Frage ist berechtigt, der Einwand auch. Aber das „11mm“-Festival hat wenig mit dem zu tun, wie der Fußball sonst in den Medien vermittelt wird. Die Organisatoren des Festivals im Babylon Mitte, das am Donnerstag begonnen hat und noch bis Dienstag dauert (siehe Kasten), wollen die Unterhaltungsmaschinerie Fußball nicht einfach durch weitere filmische Kapitel erweitern. Wenn Entertainment, dann wird es hier meist im Auge der Kamera als solches mitgedacht und mit den Mitteln des Films hinterfragt.

Zumeist aber handelt es sich bei den etwa 60 Filmen im diesjährigen Programm streng genommen nicht um Fußballfilme, sondern gleichermaßen um Alltagsgeschichten mit sozialer und politischer Dimension. „Die Geschichten, die rund um den Fußball erzählt werden, werden immer besser, und unser Festival soll natürlich auch dazu da sein, sich dem politischen Wesen des Fußballs zu nähern“, sagt Festivalleiter Birger Schmidt.

Kicken im KZ

Einige Produktionen unterstreichen diesen Ansatz besonders, etwa die israelische Produktion „Liga Terezin“. In ihrer Dokumentation spüren die Regisseure Mike Schwartz und Avi Kanner dem NS-Propagandafilm „Theresienstadt“ nach, der auch von einem Fußballturnier der Insassen des KZ Theresienstadt erzählt – und in dem das Lagerleben einem fröhlichen Internatsleben gleicht. Was einmal mehr die Perfidie der Nazi-Propagandamaschine verdeutlicht. Schwartz und Kanner stellen dem Propagandamaterial dabei Zeitzeugenberichte gegenüber. „Alle Leute, die man in dem Film sieht, waren vier bis sechs Wochen später tot“, erzählt einer der Zeitzeugen, der das Lager überlebt hat.

Schwartz und Kanner suchen dazu mit Angehörigen oder Nachfahren der Opfer das heutigen Terezin (Theresienstadt) auf. Und dass auch der Blick in die Stadien und in antisemitisch unterwanderte Fanszenen von heute gesucht wird, ist eine weitere Stärke dieser Dokumentation.

Anders politisch ist die aktuelle polnische Produktion „Mundial. The Highest Stakes“ von Michal Bielawski. Die 96-minütige Doku führt den Zuschauer ins Jahr 1980 nach Danzig, wo Lech Walesa den Solidarnosc-Arbeiteraufstand anführt und eine Streikwelle auslöst. Während es politisch im Land brodelt, bereitet sich die polnische Nationalmannschaft auf die WM 1982 in Spanien vor. Sie wird zum erfolgreichsten WM-Team Polens aller Zeiten. „Mundial“ stellt so die Frage, was der Erfolg für das Volk und für die politische Führung bedeutet – und ob der Fußball des Nationalteams gerade im Erfolgsfall immer ein staatstragendes Unterfangen ist.

Nicht nur Fußballfilme, sondern auch Alltagsgeschichten

Die starken Formate bei den Sportfilmen – das fällt auf – scheinen die dokumentarischen zu sein. „The German Final“, eine Produktion der „Deutschen Welle“, die am Tag des letztjährigen Champions-League-Finales zwischen Borussia Dortmund und Bayern München spielt, leistet etwa nicht viel mehr, als dass sie Fußballfans in Moskau, Ramallah, Nairobi, Rio de Janeiro und weiteren Städten beim Finaleschauen abbildet. Das reicht für einen eindrücklichen Film. In Nairobi pressen sich etwa 50 Menschen in eine Wellblechhütte, in Ramallah begleiten die Filmemacher einen Bayern-Fan namens Mohammed Abu Geth, der angespannt in der Bar sitzt, in Barcelona ist man bei Twens im Wohnzimmer, und in Moskau hat sich ein BVB-Fan schwarz-gelb angepinselt. Ein nahezu unkommentierter, ein reduzierter Film. Ein vielsagender Film.

Brasilien auf der Agenda

Der WM-Gastgeber Brasilien steht natürlich auch auf der Agenda, es gibt bei „11mm“ einen kleinen Themenschwerpunkt zu dem Land, in dem im Juni das Fußballturnier schlechthin stattfindet. In „Memórias do Chumbo“ geht es um den Fußball in Südamerika zur Zeit der Militärdiktaturen, und in „Isto é Pelé“ geht es um … na, um wen wohl? Mit „Fla x Flu – 40 Minutos Antes do Nada“ blickt man auf die brasilianischen Derbys zwischen den beiden Clubs in Rio, Flamengo und Fluminese, während denen das Land für 90 Minuten stillsteht.

Aus Berliner Sicht ist sicher die Doku „Union fürs Leben“ (die dann nächsten Donnerstag ganz regulär in die Kinos kommt) das Highlight, die genauso eine Berliner Sozialdokumentation wie eine Geschichte über den Klub Union Berlin ist. Verzichtbar allerdings im – ohnehin bereits proppevollen – Programm scheinen die Rückblicke auf 50 Jahre Bundesliga zu sein. Es sei denn, dort werden nicht nur die üblichen nostalgisierenden Schmankerl und Schenkelklopfer gezeigt – dann lassen wir uns gerne eines Besseren belehren.