: Berlins erster Popstar
GENIE Am 29. März 1914 – vor genau hundert Jahren – kam Albert Einstein nach Berlin. Er sollte fast zwanzig Jahre bleiben, zum Liebling der Medien aufsteigen, seine wichtigste Theorie hier vollenden, Liebschaften haben. Einstein sollte in Berlin weltberühmt werden
VON MARIA ROSSBAUER
Wenn Albert Einstein damals durch die Straßen Berlins wanderte, mit verschmitztem Lächeln und einer Hand lässig in der Manteltasche, erlebte er wohl oft dasselbe wie heute Justin Bieber: Reporter verfolgten ihn, wollten Statements von ihm. Frauen versuchten, ihm eine Haarsträhne abzuschneiden, steckten ihm Fanpost zu. Einstein war damals das, was Justin Bieber heute für viele ist – ein Popstar.
Natürlich hatte das damit zu tun, dass Einstein das Weltbild der Menschen auf den Kopf stellte. Sie waren regelrecht infiziert von seinen Erkenntnissen der Relativität von Zeit und Raum. Plötzlich war nichts mehr absolut: „Einsteins Verdikt besagt die Relativität aller Dinge. Was wahr ist, ist falsch. Die alte Welt stürzt ein!“, ließ der Schriftsteller Yvan Goll seinen Romanhelden 1929 sagen.
Doch nicht nur Einsteins Gedanken, auch sein Wesen faszinierte die Menschen. Der geniale Physiker, der auch mit Schlabberpulli, Pantoffeln und Geige in den Zeitungen zu sehen war, irgendwie schrullig und dennoch gutaussehend, wurde zum Inbegriff des zerstreuten Genies.
Hinzu kam, dass Einstein bereitwillig seine Meinung zu allem sagte, und das auch noch witzig und klug. Er war ein antiautoritärer Rebell, ein Friedensaktivist, der sich für Menschen in schwachen Positionen einsetzte und seine Bekanntheit ausspielte, um politisch mitzumischen. Er war einer, den man unverblümt gut finden konnte.
Auf vergleichbarem Olymp stand damals nur Charlie Chaplin. Es war eine Sensation, als beide gemeinsam zur Uraufführung von Chaplins „Lichter der Großstadt“ in Los Angeles fuhren. Massen von Menschen jubelten den Stars zu, deren Limousine nur langsam vorankam.
Doch selbst Chaplin war von Einstein verzaubert. Als dieser ihn in seiner Berliner Wohnung besucht hatte, meckerte Einstein anschließend sogar: „Auch Chaplin betrachtet mich wie ein Wundertier, mit dem er eigentlich nichts anzufangen weiß. In meinem Zimmer benahm er sich so, als würde er in einen Tempel geführt.“
Einsteins Ruhm, seine weltbildumwerfenden Theorien – beider Anfänge lagen vor hundert Jahren hier in Berlin.
Einsteins Berliner Zeit SEITE 44, 45