: Russischer Eiertanz
SCHACH Präsident Putin taktiert jetzt auch im Spiel der Könige
In Russland endet morgen eines der spektakulärsten Events seit dem legendären Umtrunk zum Ausklang des XXVIII. Parteitages der KPdSU: das Kandidatenturnier, in dem ausgefochten wird, wer Schachweltmeister Magnus Carlsen im Herbst herausfordert. Doch auch dieses sportliche Großereignis missbraucht der russische Despot Wladimir Putin, um seinen unumschränkten Herrschaftsanspruch darzustellen.
800 Milliarden Euro soll das Turnier gekostet haben. Weit über 799 Milliarden sollen dabei, vorsichtigen Schätzungen zufolge, korrupten Strukturen zum Opfer gefallen sein. Putins Russland eben.
Schon bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi demonstrierte der ehemalige KGB-Agent vor allem seine militärische Stärke, als er die sommerlichen Temperaturen mit Schneekanonen neuester Bauart bezwang. Das Kandidatenturnier ließ der irre Diktator nun in Chanty-Mansijsk stattfinden, einem Kaff im Westsibirischen Tiefland, wo auch Ende März die Höchsttemperatur minus fünf Grad nicht übersteigt. Das Signal, das Putin mit seinen durchsichtigen Manövern an den Westen sendet, ist klar: Seht her, ich kann es bei subtropischem Klima schneien lassen, und wenn mir der Sinn danach steht, kann ich sogar acht harmlose Schach-Nerds, die nur in Ruhe bei einer Tasse Kaffee an einem Tisch sitzen und Holzfiguren herumschieben wollen, in einer Turnhalle einsperren, weil sie sich draußen erkälten würden.
Doch anders als noch in Sotschi verhielt sich die Bundesrepublik Putins Willkürregime gegenüber diesmal konsequent. Schon im Vorfeld sorgten deutsche Spieler mit demonstrativ schlechten Leistungen für einen Boykott des Turniers und auch Bundespräsident Joachim Gauck reiste nicht nach Chanty-Mansijsk. Offiziell aus reiner Gleichgültigkeit und weil keine deutschen Athleten vor Ort sind, in Wahrheit jedoch, weil deutsche Wirtschaftsinteressen beim Schach weder zum Zug kommen noch als Damenopfer vorgesehen sind.
Auch die deutsche Presse hat nach Sotschi dazugelernt und bestrafte Putins Turnier mit Nichtbeachtung. Das wird Putin zwar zu denken geben, und man kann die deutschen Medien für diesen Mut nicht genug loben, dennoch ist diese Strategie die falsche! Schließlich bleibt so die Aufklärung der westlichen Welt auf der Strecke. Mit Sicherheit hätte es auch in Chanty-Mansijsk Missstände aufzudecken gegeben wie zwei Toiletten in einem Raum, falsch montierte Heizungen oder schlampig verklebte Deckenzierleisten.
Gerade die vier russischen Kandidaten hätten die Unterstützung westlicher Medien bitter nötig gehabt. Wer sich die Übertragungen im Internet angesehen hat, wird bemerkt haben, dass die Spieler zwar für Russland, aber gegen Putin antraten. Die Zeichen des Protests waren bisweilen unterschwellig. Keiner von ihnen hat es gewagt, ein Transparent aufzuspannen, nach Art der Femen seine Brust zu entblößen oder in der wilden Performance-Tradition der Künstlerinnen von Pussy Riot einfach mal eine Schachfigur umzuwerfen. Da war die Angst vor Sanktionen durch die von Putin persönlich instruierten Schiedsrichter zu groß. Doch der Protest war da, etwa bei Pressekonferenzen nach den Partien. Dort parlierte Pjotr Swidler, obwohl Russe, in astreinem Oxford-Englisch und ließ seine Sätze dreist für die anwesende putinfreundliche Presse ins Russische übersetzen. Ein Affront, den sich der Mann in Moskau wohl nicht lange gefallen lassen wird. Zumal Swidler dabei auch noch jedes Mal frech seinen blinkenden Ohrring in die Kamera hielt.
Auch Swidlers Landsmann Wladimir Kramnik machte keinen Hehl aus seiner Gesinnung. Bemerkenswert, wie er während der Spiele immer wieder seine mitgebrachte Tupperdose öffnete, um einen Keks nach dem anderen hervorzuholen. Eine Geste, die besagen will: Von Putin lasse ich mir das Keksefuttern nicht verbieten, und wenn ich dafür ins Arbeitslager muss.
Es ist eine Schande, dass die deutsche Presse darüber geschwiegen hat. GREGOR FÜLLER