: Der Widerstandskämpfer
KUNSTFILM Internationales Filmfestival? Preis? Luis Miñarro! Ein Porträt des zurzeit umstrittensten und wichtigsten Produzenten des Autorenkinos
■ Als Produzent (Auswahl):
2010: „Aita“, Regie: José María de Orbe
2010: „La Mosquitera“, Regie: Agustí Vila
2008: „El Cant dels Ocells“, Regie: Albert Serra
2001: „Fuente Álamao. La caricia del tiempo“, Regie: Pablo Garcia
1996: „Cosas que nunca te dije“ (Things I never told you), Regie: Isabel Coixet
■ Als Koproduzent (Auswahl):
2010: „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“, Regie: Apichatpong Weerasethakul
2010: „O estranho caso de Angélica“, Regie: Manoel de Oliveira
2009: „Eigenheiten einer jungen Blondine“, Regie: M. de Oliveira
2008: „En la ciudad de Silvia“, Regie: José Luis Guerín
2006: „Honor de Cavallería“, Regie: Albert Serra
VON JULIA MACHER
Luis Miñarro wird regelmäßig mit falschem Namen angesprochen. Journalisten begrüßen ihn mit jovialem: „¡Hola, Eddie!“ Jungregisseure schicken ihre Drehbücher an „Herrn Saeta persönlich“. Die Verwechslung liegt nahe. Es gibt in Spanien wohl kaum eine Filmproduktionsfirma, die so stark von der Persönlichkeit des Gründers und Geschäftsführers geprägt ist wie Eddie Saeta, die Firma von Luis Miñarro eben.
23 Filme hat das in Barcelona ansässige Unternehmen seit 1996 produziert, fast alle sind klassische Festivalfilme. Sie sind vielleicht nur wenige Wochen im Kino zu sehen, dafür reisen sie monatelang von Festival zu Festival und bekommen dort Preise – in erstaunlicher Regelmäßigkeit. Sowohl in Cannes wie in Karlovy Vary (Karlsbad) gingen in diesem Jahr die Auszeichnungen für den besten Film an von Miñarro (ko-) produzierte Filme, an „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“ von Apichatpong Weerasethakul und „La Mosquitera“ von Agustí Vila. Zuletzt gab es auf dem Filmfest in San Sebastián für „Aita“ (Vater), José María de Orbes filmische Meditation über ein halb verfallenes Herrenhaus, die Silberne Muschel für die beste Fotografie – und eine feindselige Kritik von Carlos Boyero, dem Günter Netzer der spanischen Filmkritik.
Flucht aus dem Alltagsgrau
„Ich kann mir keine schlimmere Folter vorstellen, als gefesselt mit offenen Augen die gesammelte Filmografie dieses Produzenten ansehen zu müssen“, schrieb Boyero in der Tageszeitung El País. „Das Einzige, was mich an ihm fasziniert, ist seine Fähigkeit, im Namen der betrogenen Kultur ewig Fördermittel zu bekommen.“ Polarisieren gehört für Miñarro zum Konzept. Aut ama aut mite, liebe es oder lass es bleiben, steht auf seiner Visitenkarte. „Ich mache nur die Filme, die ich mir selbst gern ansehen würde“, sagt Luis Miñarro. „Und das sind in erster Linie solche, die sich mit Mut zum Risiko gegen uniformes Denken richten. Für mich war Kino schon immer in erster Linie Kunst.“
Das radikale Bekenntnis zum Autorenkino erklärt sich auch aus seiner Biografie. 1949 in Barcelona geboren, wuchs er im repressiven Ambiente der Franco-Diktatur auf. „Das Kino ermöglichte mir die Flucht aus dem Alltagsgrau.“ Da in Spanien ausländische Filme nur in einer zensierten und synchronisierten Fassung gezeigt wurden, machte ihn das zwangsläufig zum cineastischen Grenzgänger. In Barcelona klapperte er die ausländischen Kulturinstitute ab, lernte für Visconti-Reihen im Istituto Italiano Italienisch, sah im Goethe-Institut die ersten Filme von Rosa von Praunheim. Ende der Sechziger Jahre organisierte er „CineClubs“, halb öffentliche Filmreihen im Nachbarland Frankreich, am Grenzort Perpignan, wo unbehelligt von Francos Wächtern in Spanien verbotene Filme wie Luis Buñuels „Belle de Jour“ oder Pier Paolo Pasolinis „Teorema“ gezeigt werden konnten. Die Kopien stammten von befreundeten französischen Kinobetreibern; wer kein Französisch konnte, bekam einen Waschzettel mit Inhaltsangabe.
„Wir hatten ein fast krankhaftes Interesse, neue Sichtweisen kennenzulernen“, erzählt Miñarro. Sich selbst im Filmgeschäft zu versuchen, kam ihm lange Zeit nicht in den Sinn, die Ehrfurcht vor der Filmkunst war zu groß, und die Produktionsbedingungen in Spanien waren zu kompliziert. Also verdiente er seinen Lebensunterhalt als Werbekaufmann, arbeitete nebenbei „in meiner Freizeit“ als Filmkritiker.
Bis Miñarro mit Mitte vierzig in eine Sinnkrise stürzte. Er trennte sich von seinem Lebensgefährten, hängte den Job an den Nagel, reiste durch Europa, Japan und Indien und gründete anderthalb Jahre später Eddie Saeta, gemeinsam mit der Filmregisseurin Isabel Coixet. „Die Zeit dafür war einfach gekommen.“ Zweimal hat er sich inzwischen auch selbst hinter die Kamera getraut, Freunde bei einer Indienreise begleitet und einen sehr persönlichen Dokumentarfilm über seine Eltern gedreht.
Das Unternehmen Eddie Saeta war von Anfang an zweigleisig konzipiert, als Produktionsfirma für Film und Werbung. Die Überschüsse aus Spots für BMW, das Kaufhaus El Corte Inglés oder Modedesigner Custo sollten das Kunstfilmgeschäft quersubventionieren. Die Kalkulationen sind knapp: Die Filme kosten im Schnitt nicht mehr als eine Million Euro, als Werbeproduzent hat Miñarro Effizienz gelernt – und Selbstausbeutung gehört zum System. Finanziell erfolgreich ist ein Projekt, wenn nach zwei, drei Jahren eine schwarze Null unter der Endabrechnung steht und Miñarro seine vier Mitarbeiter bezahlen kann. Ein mit pragmatischem Idealismus geführtes Liebhaberprojekt – so lässt sich das Geschäftsmodell beschreiben, mit Akzent auf der Liebhaberei. „Jeder Film ist eine zwei- bis dreijährige Reise in die innere Welt des Regisseurs. Du entdeckst ihn, er entdeckt dich.“
Bei der Auswahl seiner Regisseure lässt sich Miñarro von der Überzeugung leiten, dass gute Filme nur aus einer inneren Notwendigkeit heraus entstehen. Bei José María de Orbe, den Regisseur des in San Sebastián prämierten „Aita“, war es der tödliche Unfall seiner Frau, der ihn nach familiären Wurzeln im Baskenland suchen ließ. „Ich wusste, dass das Projekt für ihn eine kathartische Funktion hatte, und kannte seine Liebe zu Mark Rothko. Also habe ich ihm vertraut.“
Für „Aita“ gab es nur ein Pro-forma-Drehbuch, für das Kulturministerium. Der eigentliche Film entstand während des Drehs. Drei Jahre lang reiste José María de Orbe immer wieder mit kleinem Team ins Baskenland, um im Haus seines Vaters unterschiedliche Lichtstimmungen einfangen zu können.
„Wir haben mehr wie Maler oder Bildhauer gearbeitet und mit der Formel ‚Wenig Geld, viel Zeit‘ die Standards der Filmindustrie ignoriert“, erzählt de Orbe. „Solche kreative Freiheit möglich zu machen, das zeichnet Luis als Produzenten aus.“
„Luis ist ein Widerstandskämpfer. Ohne ihn gäbe es kein Refugium mehr für Filmemacher wie uns“, glaubt Dokumentarfilmer José Luis Guerín. Dass sich viele Eddie-Saeta-Filme in ihrer halb dokumentarischen, bewusst verlangsamenden Erzählweise ähneln, hat mehr mit Arbeitsformen zu tun als mit einer bewussten Stilentscheidung. „Ich wollte nie eine Schule begründen, die Schule hat sich selbst begründet“, so Miñarro.
Er hat es sich zur Regel gemacht, mit keinem Regisseur mehr als zwei-, dreimal zu arbeiten. „Ich will offen bleiben für neue Menschen, neue Erzählweisen.“ Bei seinen Entscheidungen verlässt er sich auf seine Intuition, manchmal nach stundenlangem Gespräch, manchmal nach wenigen Sekunden. Albert Serra etwa, der für seine eigenwillige Don-Quijote-Adaption „Honor de Cavallería“ (Ritterehre) 2006 auf der Quinzaine des Réalisateurs gefeiert wurde, brauchte nur einen Satz, um Miñarro für ein zweites gemeinsames Projekt zu gewinnen. „Stell dir die Heiligen Drei Könige vor, wie sie durch die Wüste irren und nicht wissen, ob sie den Messias oder einen Kometen suchen.“ „El Cant dels Ocells“ (Der Gesang der Vögel) wurde wie sein Vorgänger nach Cannes eingeladen.
Inzwischen nutzt Luis Miñarro die regelmäßigen Festivaleinladungen, um sich den Regisseuren zu nähern, die er zu den Großen des Weltkinos zählt. Den Portugiesen Manoel de Oliveira etwa oder Apichatpong Weerasethakul, den er vor zwei Jahren in Cannes kennenlernte. Am „Uncle Boonmee …“-Projekt faszinierte ihn nicht nur die Handschrift des Autors, sondern auch das Thema Reinkarnation, also beteiligte er sich als fünfter Koproduzent an der Finanzierung. Nach seinen eigenen Kriterien war es das bisher rentabelste Projekt, nicht, weil er den Film bisher in 14 Länder verkauft hat, sondern weil die Goldene Palme ihm weltweite Aufmerksamkeit verschafft hat. „Meine Arbeit soll in erster Linie beweisen, dass man eben nicht 14 Millionen Euro wie Pedro Almodóvar oder 30 Millionen Euro wie Lars von Trier braucht, um nach Cannes zu kommen.“ Bei anderen Produzenten klingen solche Aussagen nach PR-Worthülse, Miñarro nimmt man sie ab. Auch, weil bei ihm der Erfolg den Gedanken ans Aufhören nicht verdrängt hat.
Planungssicherheit gibt es lediglich für die nächsten zwei Jahre. Die Einnahmen aus dem Werbezweig sinken krisenbedingt; an Mittel von Kulturministerium und Fernsehsendern zu kommen werde immer schwerer. „Natürlich macht mich das unruhig, aber ich habe keine Zukunftsangst: Nichts bleibt, alles vergeht, das liegt in der Natur der Sache. Zumindest werde ich das getan haben, an das ich glaube.“