: Sag’s nicht weiter
PRIVATSPHÄRE Der Ruf des Geheimnisses hat gelitten, seit NSA und GCHQ wie die größten Schurken der Welt dastehen. Aber wir brauchen es doch. Oder?
Aristoteles unterscheidet in seinen philosophischen Werken zwei Sphären des menschlichen Daseins: die Politik und das häusliche Leben
1690
Das Briefgeheimnis wird in Deutschland erstmals in der Reichsverfassung garantiert. Der Kaiser ließ den Postverkehr aber weiterhin überwachen
1890
In dem Artikel „The Right to Privacy“ definieren die amerikanischen Juristen Samuel Warren und Louis Brandeis die Privatsphäre als das Recht „in Ruhe gelassen zu werden“
1970
Das weltweit erste Datenschutzgesetz wird in Hessen beschlossen. Den Bürgerinnen wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung garantiert
1987
In Deutschland gibt es Proteste gegen eine bundesweite Volkszählung. Laut der Boykottinitiativen werden 15 Prozent der Fragebögen nicht abgegeben
1997
Mit sixdegrees.com geht in den USA das erste soziale Netzwerk online, auf dem sich Mitglieder über persönliche Profile austauschen. Sieben Jahre später folgt Facebook
VON DOMINIK DRUTSCHMANN
Im Hintergrund ist das Weiße Haus zu sehen, als Innenminister Hans-Peter Friedrich an einem Sommerabend des Jahres 2013 zur besten Sendezeit erklärt, dass Menschen in Deutschland nicht mehr damit rechnen können, Geheimnisse zu haben.
Friedrich ist nach Washington geflogen, um mit dem Justizminister und dem Vizepräsidenten der USA über den größten Überwachungsskandal der vergangenen Jahrzehnte zu sprechen – gerade ist öffentlich geworden, dass der Geheimdienst NSA systematisch die Daten von hunderten Millionen Internetnutzern durchsucht.
Hans-Peter Friedrich blickt in die Kamera und sagt, das Ganze diene dem „edlen Zweck, Menschenleben in Deutschland zu retten“. Das Verfahren sei verfassungskonform. Was er eigentlich sagt: Liebe Bürgerin, ich kann dir nicht sagen, was die Geheimdienste über dich wissen, aber selbst was sie nicht wissen, könnten sie erfahren.
Nimm Abschied von der Vorstellung, Geheimnisse zu haben.
Der Aufstand hält sich in Grenzen, im Jahr, in dem die Zahl der deutschen Facebooknutzer erstmals auf mehr als 25 Millionen gestiegen ist.
Dass heute, acht Monate später, die Staatsanwaltschaft Berlin gegen Hans-Peter Friedrich ermittelt und er aus dem Bundeskabinett zurücktreten musste, hat wieder mit Geheimnissen zu tun. Friedrich hat mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel während der Koalitionsverhandlungen im Herbst darüber gesprochen, dass der Name des Abgeordneten Sebastian Edathy bei Ermittlungen im Ausland aufgetaucht ist – es geht um Bilder nackter Kinder. Geheimnisverrat war das, sagen einige Staatsrechtler. Und wieder versteht Friedrich die Aufregung nicht. Es gibt doch auch dieses Mal einen edlen Zweck. Die Sache mit dem Geheimnis scheint ihn irgendwie zu verfolgen.
Eine verzwickte Geschichte. Es ist ja sogar so, dass Prism, das Programm des US-Geheimdienstes NSA, das alles Verborgene offenlegen sollte, selbst als Top Secret eingestuft war. Und ein Geheimnis blieb, bis jemand es verriet: ein junger Techniker namens Edward Snowden.
Lieben wir also das Geheimnis? Oder den Verräter?
Wer darf Geheimnisse haben? Und vor wem?
Wo braucht eine Gesellschaft wie die unsere das Geheimnis überhaupt noch?
„Mit etwa fünf bis sieben Jahren begreifen Kinder, dass sie Informationen besitzen, die die Eltern nicht haben.“ Inge Seiffge-Krenke ist gerade zur Tür ihres Büros an der Universität Mainz hereingekommen, sie braucht einen Moment, bis sie am Telefon wieder zu Atem kommt. Trotzdem legt sie sofort los, ihre Sätze sind schnörkellos.
Seiffge-Krenke ist Entwicklungspsychologin. Etwas bewusst zu verheimlichen lehre Kinder, eine Grenze zu ziehen, stellt sie fest. Zwischen dem eigenen Ich und den anderen. Mit dem Geheimnis beginnt die Autonomie.
Im Schulalter, zwischen acht und zehn Jahren, ist das Geheimnis Teil sozialer Bindungen, sagt Seiffge-Krenke. „Ein Freund soll Vertrauliches mitteilen und gleichzeitig als Geheimnisträger zur Verfügung stehen.“ Die Linie, die mithilfe des Verborgenen gezogen wird, verläuft nun nicht mehr zwischen du und ich, sondern zwischen einem Wir und dem Rest der Welt.
Kinder schützen ihre Geheimnisse instinktiv, horten und bewahren sie. Tagebücher seien heute genauso beliebt wie vor dreißig Jahren. Aber immer häufiger trifft die Entwicklungspsychologin auf Eltern, die Grenzen nicht akzeptieren wollen. Das Tagebuch der pubertierenden Tochter in der Hand, Sorgenfalten auf der Stirn, die Ausrede auf den Lippen: Versehentlich bin ich beim Staubsaugen dagegen gekommen, es ist zufällig aufgeschlagen. Ich glaube, meine Tochter nimmt Drogen. Seiffge-Krenke beobachtet, dass die Kontrolle der Kinder durch ihre Eltern in den vergangenen Jahren zugenommen hat. „In einem unglaublichen Maße.“
Es gebe auch Eltern, die glauben, dass die Beziehung zu ihrem Kind so gut ist, weil sie keine Geheimnisse voreinander haben. Das sei problematisch, findet die Psychologin.
Dabei klingt es ja erst mal nicht abwegig, Vertrauen und Aussprachen als Basis von Beziehung zu sehen und nicht Misstrauen und Verschweigen. Vor allem in einem Land, in dem jahrzehntelanges Schweigen dazu führte, dass die unausgesprochenen Traumata der Kriegsgeneration noch bis zu den Enkeln weiterwirken.
Aber gleichzeitig leben auch Beziehungen zwischen Erwachsenen – Liebesbeziehungen und deren gegenseitiges Begehren – davon, dass es Räume gibt, an denen man nicht zu dem anderen vordringt. Das man ihm nicht auf die Toilette folgt, auch wenn man könnte.
***
Sommer 1983, in einer deutschen Kleinstadt. Sie hätte diesen Moment gern festgehalten, aber es gibt nicht mal ein Foto. Zumindest keines, auf dem sie so glücklich aussieht, wie sie sich damals fühlte. Sie hatte das alte Haus mit dem verwunschenen Garten gekauft, der Job lief gut, sie war verliebt. Und schwanger.
Als ihr Sohn geboren wird, ist er auch schon wieder vorbei, der Moment. Noch im Krankenhaus taucht der Vater des Kindes mit einer anderen Frau auf. Für ihn selbstverständlich, niemals hatte er schließlich einer monogamen Ehe zugestimmt. Allerdings hatte er seiner Frau auch nie erzählt, dass es anders sein könnte. Es dauert zwei Jahre, bis sie sich trennt. Ihr Sohn, schwört sie sich, soll nicht darunter leiden. Jedes zweite Wochenende bringt sie ihn die 140 Kilometer zu seinem Vater. Nicht immer hat er Lust. Aber sie kämpft dafür, dass er einen Vater hat. So sieht sie es.
Ihr Sohn fragt: Warum habt ihr euch getrennt? Seine Mutter will ihm antworten, ehrlich sein. Aber sie hatte sich doch geschworen, den Jungen nicht in die Geschichte reinzuziehen. „Ich war häufig kurz davor, alles zu erzählen“, sagt sie. In der Pubertät streiten Mutter und Sohn immer häufiger. Irgendwann fällt der Satz: „Ich halte es mir dir nicht mehr aus. Ich will zu meinem Vater.“ Dass der nicht einmal Unterhalt zahlt, will sie antworten. Aber sie schluckt den Ärger herunter, auch wenn sie fast platzt.
Kurz vor seinem 18. Geburtstag setzen sie sich zusammen. Die beiden trinken eine Flasche Rotwein, dann eine zweite, eine dritte. Und die Mutter erzählt. Vom Vater, dem Künstler, und von seinen Frauengeschichten. Wie sie nach der Geburt im Krankenhaus lag und er mit der Freundin ankam. Der Sohn wird wütend. Auf den Vater, der die Mutter so behandelte. Aber auch auf die Mutter. Warum hat sie es so lange verheimlicht?
Mittlerweile ist der Sohn 30. Das Verhältnis zum Vater ist zwiespältig, aber sie haben Kontakt. Manchmal hadert er damit, dass seine Mutter ihm nicht früher die Wahrheit gesagt hat. Aber, er sagt auch: „Meine Mutter ist eine der stärksten Personen, die ich kenne.“ Er sagt es über sie, nicht zu ihr.
***
Vielleicht kann man den Wert eines Geheimnisses messen. Entlang von zwei Koordinaten: Je größer die Zahl der Mitwissenden, desto kleiner wird er. Und er steigt, je größer die Folgen des potenziellen Verrats sind.
Heinrich Schmitz droht im Fall eines Geheimnisverrats eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. So steht es in Paragraf 203 des Strafgesetzbuches. Schmitz ist Anwalt in Euskirchen und was ihm seine Klienten anvertrauen, ist geschützt. Genauso wie bei Ärzten, Sozialpädagogen und sogar Veterinärmedizinern – weil Informationen über Haustiere Schlüsse über ihre Halter zulassen.
„Wer zu einem Arzt, einem Sozialarbeiter oder zu einem Anwalt geht, der macht das im Vertrauen“, sagt Schmitz. Sein rheinischer Dialekt lässt die Sätze weich klingen. Aber er sagt auch Sachen wie: „Wenn im Deich ein Leck ist, ist er im Arsch.“ Schmitz ist ein Verfechter der Prinzipientreue. Weil das Vertrauen, das seine Klienten in seine Verschwiegenheit haben, sich an der Frage misst, wann er bereit wäre, eine Ausnahme zu machen.
AUTOR ILIJA TROJANOW
Es ist eine dieser Fragen, die wehtun, weil jede mögliche Antwort eine falsche ist: Was ist, wenn mir die Partnerin eines guten Freundes anvertraut, dass sie ihn hintergeht? Wenn jemand gegenüber einem Sozialarbeiter Vergewaltigungsfantasien formuliert? Was, wenn das Gesetz, dass die berufliche Schweigepflicht regelt, mit einem anderen kollidiert?
Der Umgang mit dem Geheimnis – ob im Alltag oder vor Gericht – ist eine Güterabwägung. Und die bleibt im deutschen Recht immer eine Einzelfallentscheidung.
Aber wenn man sich viele dieser einzelnen Güterabwägungen genau anschaut, kann man herausfinden, wo das Geheimnis noch funktioniert. Bei den Anwälten und Ärzten zum Beispiel.
Heinrich Schmitz kennt aus seiner Arbeit den Wunsch, Gesetze außer Kraft zu setzen, um die Wahrheit herauszufinden.
Und wenn illegale Mittel einen Mord aufklären?
Zuletzt wurde einer seiner Mandanten eines grausamen Mordes verdächtigt – der Kopf der Leiche war abgetrennt. Schmitz’ Mandant gab zu, tagsüber in der Wohnung des Opfers gewesen zu sein. Das Opfer habe ihn dann aber selbst noch mit dem Auto nach Hause gebracht. „Es wäre ein Einfaches gewesen, anhand des Bewegungsprofils des Autos und der Mobiltelefone beider Personen den Verdacht auszuräumen.“ Die Daten von den Betreibern von Navigationsgeräten und Netzanbietern, auf die der Staat keinen Zugriff haben sollte, hätten seinen Klienten sofort entlasten können.
Nur wo fängt man an, was geht zu weit? Sollte etwa die Schweigepflicht verschiedener Berufsgruppen ausgesetzt werden, wenn es der Verbrechensbekämpfung dienen könnte? Wird eine Frau, die Opfer häuslicher Gewalt wird, noch zu einem Sozialarbeiter gehen, wenn sie sich nicht sicher sein kann, dass vertraulich bleibt, was dort besprochen wird? Wird ein Mann, der sich seiner pädophilen Neigungen gewahr wird, Hilfe suchen, wenn er befürchten muss, dafür gesellschaftlich geächtet zu werden?
Schmitz plädiert dafür, nicht an den Gesetzen zu rütteln. Um des Prinzips willen hart zu bleiben, auch wenn vielleicht einmal viel dagegen spricht. Weil nur das Prinzip das Vertrauen in ein Grundrecht aufbauen kann.
Das Bundesverfassungsgericht hat eines dieser Grundrechte 2008 formuliert, die Richter nannten es das Recht „auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“. Es ergänzt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das nach den Volkszählungsprotesten 1983 als Grundrecht anerkannt wurde, und die anderen beiden Rechte die das Private abgrenzen: das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung.
Rechte auf Privatsphäre sind das eine. Das Bedürfnis des Menschen, sich mitzuteilen, ist etwas anderes. Und wenn dieses Bedürfnis auf die größten Maschinen zur Geheimnisaufbewahrung und Geheimnislüftung trifft, die es je gegeben hat, was passiert dann?
Das müsste jeder für sich abwägen. Aber will er das immer, kann er das?
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Tine ist mit Junes zusammen, den sie über alles liebt, auch wenn sie gute und schlechte Zeiten haben, so formuliert sie das. Junes nennt sie manchmal „mein Baby“. Sie sind am 20. September zu einem Paar geworden, 2011 war das. Manchmal schauen sie zusammen Fernsehen, manchmal machen sie Obstsalat. Manchmal kuscheln sie abends im Bett, was Sonja und Jessica gefällt. Tine ist 17, hat eine Hauptschule besucht und sich am 19. Februar die halblangen Haare wieder rot gefärbt. Sie will Pflegeassistentin werden, Ende Februar hat sie sich dafür angemeldet. Alina, die gern reitet und sich auf ihrem Pferd zeigt, gefällt das. Wenn Tine Junes mit seinen verstrubbelten Haaren küsst, dann legt sie ihm manchmal die Hand auf die Brust. Sie nennt ihn ihre zweite Hälfte.
Sie lieben sich, immer wieder. Am 2. Februar 2014 beispielsweise, 7:07 Uhr. „Ich liebe dich *_*“, schreibt er da. Dazu ein Herz. Und ihr gefällt das. „Ich liebe dich auch :**“, antwortet sie, 9:18 Uhr. Neben dem Foto, das Tine und Junes beim Küssen zeigt. Sie trägt einen Perlenohrring, er eine weiße Sonnenbrille am T-Shirt. Virginia, Pasqual, Maren Adriana, Vanessa, Jacqueline, Indiaa, Joshua, Junes selbst und auch der Kleinen Hexe gefällt das. Sie sind vermutlich alle mit Tine und Junes befreundet. Aber man muss kein Facebook-Freund der beiden sein, um all das über ihr Leben zu erfahren. Die Informationen sind alle öffentlich. So haben Tine und Junes es in ihren Privatssphäre-Einstellungen für das soziale Netzwerk festgelegt.
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In einem Buchladen im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg haben sie Ilija Trojanow einen wackligen Tisch als Lesebühne hingestellt. Davor sitzen Rentner und Studenten, die Generation dazwischen ist nicht gekommen. Ilija Trojanows Buch, „Der überflüssige Mensch“, ist ein kurzer, wütender Essay gegen Eliten, die behaupten, das größte Problem der Welt sei die Überbevölkerung.
Trojanow braucht nicht lange, von da zu seinem Kernthema zu kommen: dem gläsernen Bürger. Ein Bürger ohne Geheimnisse, bei dem die Grenzen zwischen privat und öffentlich verwaschen sind. Er könne nicht verstehen, warum man freiwillig so viele Daten über sich ins Internet absondere. In der ersten Reihe sitzt eine Frau, die die zwanzig Minuten damit zubringt, ein Foto von Trojanow zu machen, dass sie dann bei Facebook hochlädt.
Er hat auch darüber ein Buch geschrieben, gemeinsam mit Juli Zeh: „Angriff auf die Freiheit“, fünf Jahre ist das jetzt her. Damals hätten er und Zeh als Hysteriker gegolten, sagt Trojanow nach der Lesung in einem kleinen Café. „In vielen Rezensionen hieß es: Nicht der Staatsapparat ist paranoid, ihr seid es.“
Erschreckend, wie viele Leute meinen, dass man nichts ändern könne, sagt er. „Auch intelligente, kritische Menschen. Sehr viele haben sich mit dem Tod der Privatsphäre abgefunden.“
Manche glauben auch, dass man deutlich weniger traurig über ihn sein muss, als Trojanow es ist. Der Netztheoretiker Christian Heller beispielsweise, Autor des Buches: „Post-Privacy. Prima leben ohne Privatsphäre“. Sein Tenor: Es ist jetzt einfach so. Geht damit um.
Für Trojanow dagegen ist das Private elementar. Nur dort könne sich Würde entfalten. Wenn alles durchleuchtet ist, sei nichts mehr privat.
Gemeinsam mit Juli Zeh hat er eine Petition gestartet: „Writers Against Mass Surveillance“. Mehr als 500 Autoren haben unterschrieben, darunter Umberto Eco, T. C. Boyle, Henning Mankell. Es war ein Kraftakt, all diese wichtigen Leute zu bekommen. Das Ergebnis ist ernüchternd.
Es mag daran liegen, dass ein Angriff auf alle schwerer zu skandalisieren ist, überlegt Trojanow, als etwa der Angriff auf eine Minderheit. Wenn alle betroffen sind, aber nur irgendwie, wer genau soll sich dann aufregen?
Die interessantesten Geheimnisse sind die, die noch geheim sind. Wir haben sie gelüftet.
■ Wer ermordete John F. Kennedy? Ein Bush, wer denn sonst.
■ Warum starben die Dinosaurier aus? Einer lebt noch.
■ Gibt es das Ungeheuer von Loch Ness? Siehe Dinosauriersterben.
■ Ist Diana wirklich tot? Sie wurde von einer geheimen Homosexuellen-Organisation entführt. Zu ihrem Besten.
■ Woher stammten Helmut Kohls Spenden? Aus dem Nazi-Goldschatz des DDR-Funktionärs Schalck-Golodkowski. Kohl hat ihn erpresst.
■ Gibt es Bielefeld? Nein.
■ Wo ist das Bernsteinzimmer? Im Südosten von Berlin.
■ War jemand auf dem Mond? Der kleine Prinz.
■ Lebt Elvis? In Bielefeld.
■ Wann öffnet der neue Berliner Flughafen? Wenn das Bernsteinzimmer gefunden wird.
Von der Politik sei nicht viel zu erwarten. Bei einem Kompromiss zwischen Freiheit und Sicherheit würden sich die meisten Politiker auf die Seite der Sicherheit schlagen. „Lieber ein paar mehr Freiheiten einschränken, als in die unangenehme Situation zu kommen, dass etwas passiert und die Bevölkerung fragt, warum die Politik nichts dagegen gemacht hat.“
Trojanow gehört nicht zu denen, die ihre E-Mails mit Schlüsseln schützen. „Ich will nicht in ein Verschlüsselungswettrüsten gegen den Staat treten. Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, in der ich konspirativ handeln muss. Ich möchte, dass der Staat meine Privatsphäre respektiert und schützt.“
Wer regt sich auf, wenn alle irgendwie betroffen sind?
So wie Trojanow jetzt da sitzt, in dem kleinen Café in Prenzlauer Berg, unweit des Buchladens, sieht er aus, als kämpfe er auch gegen die eigene Resignation. „Es ist schon komisch, dass die Gesetze zur Wahrung des Geheimnisses und der Privatsphäre vor Jahrhunderten aus heutiger Sicht extrem streng waren. Etwa wenn es um das Briefgeheimnis ging.“ Trojanow scheint dem Gedanken nachzuhängen, als die Bedienung ihn zum Zahlen auffordert. „Ja“, sagt Trojanow zur Kellnerin. Und dann wie zu sich selbst: „Ich bin müde.“
Das Geheimnis hat einen zwiespältigen Ruf. Im Privaten halten es viele für bedroht, wegen Facebook, wegen Google, wegen der NSA. Die Mehrheit betrachtet es als schützenswert, wie Trojanow das tut. Wenige unternehmen etwas dafür. Sein Wert wird also prinzipiell als hoch angesehen, aber kaum verteidigt.
Im Politischen dagegen gilt das Geheimnis eher als etwas, das abgeschafft werden muss. Das Geheimnis in der Politik wird zusehends mehr gleichgesetzt mit: verheimlichen. Die Leute wollen lieber Transparenz, die Kostenrechnungen von Bauvorhaben einsehen können und die Abmachungen zu kommunalen Wasserverträgen.
Oft ist es das Internet, das diese Transparenz ermöglicht. Im Privaten gilt sie als Gefahr. Im Politischen als Chance.
In der Welt transparenter Politik, darf es nur dann Geheimnisse geben, wenn das schützt. Am besten Menschenleben.
***
Mitte der achtziger Jahre, in Frankfurt (Oder), dem Sitz der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit der DDR. Ein Tag in einer Grundschule, an den sich eine Schülerin von damals erinnert.
„Heute dürft ihr zeichnen, was eure Eltern von Beruf sind“, sagt die Lehrerin. Fast jedes zweite Kind verzieht das Gesicht und hebt eine Hand.
„Ja, bitte?“, fragt die Lehrerin.
„Aber das darf ich nicht sagen!“
***
Café Bagco, altes Westberlin, fein säuberlich getrimmte Langeweile. Alles hat seine Ordnung, und darum ist es Wolbert K. Smidt wirklich unangenehm, dass er zu spät ist. Über eine halbe Stunde. Smidt, blaues Hemd zu blauer Jeans, darüber das beige Cordsakko, trinkt Filterkaffee. Alte Schule. Mit einem Schluck Kondensmilch. Dass die NSA Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört hat, sagt Smidt, sei völlig verständlich. Pause. „Aber ich halte das für eine Pervertierung der Nachrichtendienstpolitik.“
Eine Geheimdienstzentrale mitten in der Hauptstadt
In den Sechzigern begann Smidt seine Karriere im Bundesnachrichtendienst, leitete Operationen gegen Terrorismus, ging eine Zeit nach Paris und war bis zu seiner Pensionierung 2001 Erster Direktor des BND. Er war Geheimnisträger, musste Staatsgeheimnisse bewahren.
„Nachrichtendienste“, sagt Smidt, „werden in der Demokratie als Fremdkörper empfunden.“ Nach Sätzen wie diesen fixiert Smidt sein Gegenüber durch die randlose Brille, hält inne, und erklärt sich erst dann.
Als Pensionär hat Wolbert K. Smidt den „Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland“ gegründet. Um über die Rolle der Geheimdienste zu sprechen. Öffentlich.
Selbst der Geheimdienst gibt sich den Anschein, nicht mehr ganz so geheim zu agieren wie einst. Am Montag wird die neue Zentrale des BND eröffnet. Mitten in der Hauptstadt.
Neben dem BND gibt es in Deutschland den Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst, der Geheimdienst der Bundeswehr. Von dem letzten hört man am wenigsten. Heißt das, dass man sich um ihn am meisten Sorgen machen sollte? Seine Beamten ließen den NSU-Untersuchungsausschuss monatelang auf seine Akten über Uwe Mundlos warten. Als Mundlos gemeinsam mit Uwe Böhnhardt den Besitzer eines Internetcafés ermordeten, war sogar ein Geheimdienstler am Tatort. Der Verfassungsschutzmitarbeiter sagt, er habe nichts gemerkt.
Braucht es in so einem Land noch Geheimdienste?
Viele Politiker hätten schon fast ein schlechtes Gewissen, wenn sie Informationen des BND übernehmen, sagt Smidt. „In einer Demokratie sind Informationen, die offen gewonnen wurden und auch öffentlich verwendet werden können, viel mehr wert.“ Helmut Kohl habe sich nie um Geheimdienstarbeit gekümmert, erinnert sich Smidt, Gerhard Schröder hatte zumindest seinen Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier, der eine gewisse Affinität zum BND hatte. „Und Helmut Schmidt hat gesagt, dass man lieber die Neue Zürcher Zeitung lesen solle, da erfahre man wesentlich mehr.“
Wolbert K. Smidt, geboren 1936, ging 2001 in Pension, vor dem 11. September. Ein Moment, der die Macht vieler Geheimdienste steigern sollte, wie kaum ein anderer.
Schließlich hatten die Dienste der USA schon vor dem 11. September etliches über die Al-Qaida-Terroristen und ihre Pläne gewusst. Die einzelnen Geheimnisträger hatten ihre Geheimnisse nicht geteilt. Um Anschläge künftig zu verhindern, würde man Informationen stärker austauschen müssen, beschloss die US-Regierung. Und also die Anzahl der Geheimnisträger erhöhen, mehr Mitarbeiter einstellen. Vier Millionen US-Amerikaner dürfen geheime Regierungsinformationen einsehen. Es war somit nur eine Frage der Zeit, bis irgendein Mitarbeiter einige der weitläufig verknüpften Geheimnisse verraten würde. Sein Name war dann Edward Snowden.
Seitdem steht vieles infrage, Obama hat gerade eine kleine NSA-Reform vorgelegt und der US-Kongress debattiert über die Rolle der Geheimdienste.
„Der Staat muss seine Bürger schützen“, sagt Smidt. Und Nachrichtendienste sind Instrumente, um die Sicherheit zu gewährleisten. Informationen zu sammeln, die etwa helfen, eine politische Situation einzuschätzen.
Er hat ein Beispiel: Damals, als Gorbatschow sich dem Westen öffnete, glaubten viele Hardliner in Deutschland, dass Gorbatschow den Westen nur in Sicherheit wiegen wolle, um dann zuzuschlagen. Der BND sollte herausfinden, was seine Motive waren. Systematisch wurden Daten gesammelt. Das Ergebnis: Gorbatschow plante eben nicht das große Täuschungsmanöver. Er hatte eingesehen, in was für einer desolaten Lage die Sowjetunion war.
„Diese Informationen“, sagt Smidt, „konnten nicht direkt an die Öffentlichkeit gelangen.“ Sonst hätte man die Quellen in Russland in Gefahr gebracht. „Ich selbst war an Operationen beteiligt“, sagt Smidt, „über die ich bis heute nichts sagen darf.“ Er lächelt, nicht ohne Stolz, die grauen Strähnen liegen ungeordnet auf seinem Kopf.
Smidt findet es richtig, dass deutschen Nachrichtendiensten nicht jedes Mittel recht ist, um an Geheimnisse heranzukommen. Er erinnert sich an einen Fall, der ihm beim BND zugetragen wurde. Ein hauptamtlicher Mitarbeiter bat um die Erlaubnis, ein Verhältnis mit der Sekretärin eines ausländischen Staatspräsidenten anzufangen, um an Informationen zu gelangen. Das KGB arbeitet so. Smidt untersagte es. Was seine Frau dazu sagen würde, fragte er. „Da meinte der Kollege, oberflächlich wie er war: ,Die erfährt schon nichts davon.‘“
Der BND justiert seinen Moralkodex immer wieder. Wirklich kontrolliert wird die Einhaltung allerdings nicht. Das parlamentarische Kontrollgremium im Bundestag, eigentlich dafür zuständig, wird von BND-Mitarbeitern oft abgewimmelt: Geheimhaltungspflicht. „Geheimhaltung kann als perfektes System missbraucht werden, eigene Fehler zu kaschieren“, sagt Smidt.
Wer definiert, was das Geheimnis ist, hat die Macht, auch in Bereichen, die weit entfernt sind von der Welt des BND und des parlamentarischen Kontrollgremiums.
Dem Autor Andy Greenberg zufolge verfügen Whistleblower meist über viele Informationen, aber wenig Macht.
■ Der Lkw-Fahrer: Miroslaw Strecker liefert 2007 Fleischabfälle aus. Als er erfährt, dass sie zu Dönerfleisch werden, wendet er sich an die Gewerbeaufsicht. Konsequenz: Strecker wird gemobbt und schließlich gekündigt.
■ Der Callcenter-Angestellte: Detlef Tiegel verkauft Lotterielose. Er erfährt, dass seine Firma illegal Bankdaten Tausender Personen gekauft hat. Auch denen, die keine Lose wollen, wird Geld abgebucht. Tiegel schickt der Verbraucherzentrale 17.000 Datensätze. Konsequenz: Kündigung.
■ Die Altenpflegerin: Brigitte Heinisch beschwert sich über Missstände im Pflegeheim. Als das ignoriert wird, erstattet sie Anzeige. Konsequenz: Ihr wird gekündigt, 2012 spricht ihr ein Gericht 90.000 Euro Entschädigung zu.
Wenn die schlechten Zustände im Pflegeheim zum Betriebsgeheimnis werden, wird die Mitarbeiterin, die sie öffentlich macht, zur Verräterin.
Wikileaks wirkt ähnlich klandestin wie die NSA
Zurzeit formiert sich eine neue Macht – die der Verräter, der Whistleblower. Auch wenn Geheimnisverrat keine Erfindung des 21. Jahrhunderts ist, wurde wohl nie so oft Politik mit dem Leak gemacht wie in der Zeit zwischen dem Wikileaksinformanten Bradley Manning und „Fuck the EU“, dem mitgeschnittenen Ausruf einer US-Diplomatin.
Der Wikileaks-Mann Julian Assange und Edward Snowden stehen für Skepsis gegenüber dem Geheimen. Für Leaks, die Geheimnisse gezielt lüften, um den Missbrauch von Macht anzuprangern. Für Transparenz, die Freiheit bringen soll.
Eine Transparenz, die erst durch schärfste Verschlüsselungstechniken möglich wurde. Schließlich müssen die Quellen geschützt werden, es darf nicht nachvollziehbar sein, wer Dokumente auf die Wikileaks-Seite hochlädt. Um Geheimnisse zu verraten, braucht es neue. Weshalb Wikileaks manchmal ähnlich klandestin wirkte wie die NSA.
Und die eine Seite wird der anderen immer vorwerfen, das jeweilige Geheimnis sei illegitim und dürfe also gelüftet werden.
In einer Demokratie ist dann vor allem die Frage, wie transparent die öffentliche Definition davon ist, was als Geheimnis gilt, und wie nachvollziehbar die Gründe dafür sind.
Es gibt ein seltsames Gesetz, das nur beim Verdacht des Geheimnisverrats angewendet wird, Paragraf 353b IV des Strafgesetzbuches. Wenn es um Vorwürfe gegen einen Geheimnisträger geht, muss der Innenminister der Staatsanwaltschaft erlauben, zu ermitteln. Es entscheidet also ein Politiker, ob ein Fall verfolgt wird. In einem Ermittlungsverfahren, so die Begründung, werden vielleicht noch mehr Geheimnisse an die Öffentlichkeit kommen als beim Geheimnisverrat selbst. Ist es das Wert, Herr Innenminister?
Die Bitte der Berliner Staatsanwaltschaft, gegen Hans-Peter Friedrich wegen Geheimnisverrat zu ermitteln, bekam sein Nachfolger Thomas de Maizière auf den Schreibtisch. Sie liegt sieben Tage im Innenministerium, bis de Maizière seine Erlaubnis öffentlich macht.
Ein Mann, dessen Vater oberster General der Bundeswehr war und der selbst einmal als Kanzleramtsminister für die Geheimdienste verantwortlich war.
De Maizière hat mal gesagt: „Jedem Geheimnis wohnt es inne, dass man es aufdecken will. Je geheimer man etwas hält, umso höher ist die Energie, es lüften zu wollen.“
Sich transparent zu geben kann also auch ein Mittel sein, seine Geheimnisse zu bewahren.
■ Dominik Drutschmann, 30, arbeitet als freier Journalist in Berlin. Er hat seine Geheimnisse während der Grundschule einem Tagebuch anvertraut. Das wurde aber nach ein paar Monaten uninteressant