: Na, wie hammas?
METAMORPHOSE Nach acht Jahren Sportjournalismus in einem Nischenressort ist jetzt Schluss: Der Herr Rüttenauer wird Chefredakteur der taz. Muss man das gut finden? Nicht unbedingt, denn es war ja nicht alles schlecht
VON MARKUS VÖLKER
Es wäre nicht vermessen zu behaupten, dass der Herr Rüttenauer und ich eine Beziehung im Endstadium führten: Wir konnten wunderbar zusammen schweigen, ohne dass es einem von uns peinlich geworden wäre. Zuletzt saßen wir in Sotschi in einem Lokal namens „Martin“ und schauten schweigend Eiskunstlauf. Ab und zu machte einer von uns eine Bemerkung, vielleicht den Trainingsanzug von Putin betreffend oder die komische knallgelbe Hose eines Paarläufers. Nötig war das eigentlich nicht, denn wir konnten uns nicht mehr überraschen mit dem, was wir dachten oder sagten oder schrieben. Ich war dieses Endstadiums nicht überdrüssig, denn wo findet man das im Berufsleben noch: Einmütigkeit, ein tiefes Verständnis für den anderen, inklusive seiner Schrullen, Macken und Defizite. Ich habe in dieser Hinsicht sicher mehr Spleens aufzubieten als der Herr Rüttenauer, der rundherum ein Sympathicus ist, ein bayerischer Gemütsmensch, der es mit vielen aushalten kann, auch mit einem maulfaulen Muffelkopp aus dem Thüringer Wald.
„Na, wie hammas?“ – „Ja mei.“ So begann meist unser Tag. Nach dem Redeschwall verschwanden wir erst mal eine Stunde hinterm Monitor und studierten die sportive Weltlage. Drunten im ersten Stock redeten sie sich in der Konferenz die Köpfe heiß und machten sich gegenseitig ihre Texte madig, wir heroben hatten dafür eher keine Zeit. Dann begann so etwas wie eine gegenseitige Erheiterungs- und Ermunterungsrunde in der Zweimann-Sportredaktion. Wir grantelten über dies oder das, verlachten oder schwärmten für diesen oder jenen Gedanken, machten uns warm für die Themensuche des Tages. Die war meistens schnell erledigt. War irgendwie eh klar, was wichtig ist und wie man das anzugehen hatte. Oder auch nicht. Denn die Leser der Leibesübungen sind ja mit der Rubrik „Was alles nicht fehlt“ auf alles vorbereitet, insbesondere auf den Mut zur Lücke. Wir haben uns immer als Lückenfüller verstanden. Da musste man sich schon was einfallen lassen.
Als der Herr Rüttenauer im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2006 zum taz-Sport stieß, war ich schon ein Jahr da, als Nachfolger des legendären Matti Lieske. Wir kannten uns freilich schon länger. Der Herr Rüttenauer hatte für die Berlin-Sport-Seite geschrieben, für die ich damals verantwortlich war. Als ein künftiger Chefredakteur erschien er mir seinerzeit überhaupt nicht. Er war so ein zurückhaltender, ja vorsichtiger Mensch, dass ich ziemlich verblüfft war, als ich erfuhr, dass dieser Herr Rüttenauer in den 90ern in München eine ziemliche Kabarettgröße gewesen ist. Das konnte ich kaum glauben.
Als Schreiber und Romancier („Pokalfinale“) hatte sich der Herr Rüttenauer ein anderes Ich geschaffen, so erklärte ich mir das. Erst langsam, mit den Jahren, fügte er beide Existenzen wieder zusammen: Rampensau und Zeilenschinder. Er fand wieder zu sich selbst. Vielleicht musste er im journalistischen Schreiben auch erst wieder jene Sicherheit finden, die ihm auf der Kabarettbühne einst zu eigen war. In diesem Prozess waren die Leibesübungen ideal für den Herrn Rüttenauer, denn sie boten einen Schutzraum. Mit etwas Übertreibung könnte man sagen: Hier fand er einen Kokon, in den er als Jungredakteur rein- und als Chefredakteur der taz wieder herausstieg.
Als unsere Beziehung noch im Anfangsstadium war, da war mir der Herr Rüttenauer oft unheimlich. Ich wusste nicht, was er dachte. Er dachte viel. Das sah man. Aber was? Und worüber? Viel sagte er ja nicht. Und meine Versuche, mehr aus ihm herauszubekommen, scheiterten oft kläglich. Ein Menschenfreund schweigt, dachte ich mir, und behält sein Wissen über das Unfertige der Kollegenschaft lieber für sich. Muss ja nicht sein, dass man alle Welt vor den Kopf stößt. Der Herr Rüttenauer dachte bestimmt auch so manches über mich. Zu Recht. Aber das kam nie zur Sprache, genauso wie ich ihm nichts vorhielt.
Wobei: Ein einziges Mal stritten wir uns, nicht offen, nur in E-Mails, die hin- und herflogen. Am nächsten Tage war ich noch stinkig, aber er war schon wieder so versöhnlich wie ein kleiner Bub, der graue Wolken vom Himmel pusten kann. Mit den Jahren hatten wir den Dreh raus: Quasi telepathisch erspürten wir, was dem anderen gerade wichtig war, wo man lieber zurücksteckte, Zugeständnisse machte oder aber seinen Willen durchsetzte, weil der andere das gerade verknusen konnte. Das war eine Gleichgewichtsübung, bei der wir uns nie zu nahe kamen. Denn das Geheimnis jeder guten Beziehung ist eine gewisse Distanz. Und Loyalität. Ich werde den Herrn Rüttenauer, der neuerdings auffällig oft ein Sakko trägt, im Auge behalten. Wie absurd: Er ist jetzt mein Chef.