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Archiv-Artikel

Thema der Woche

Von Ärzten zu Arzt: Doch, uns geht es schlechter

Müde nach drei Nachtschichten

■ betr.: „Volle Jammerkraft voraus“, taz.de vom 11. 10. 10

Ich bin zwar müde von drei Nachtschichten, aber wenn ich mich nicht irre, wird hier nur von selbstständigen Ärzten geschrieben? Das große Elend findet in Krankenhäusern mittlerer und größerer Städte statt, im Osten durchgehend noch mal verschärft. Da bekommt ein gut aufgestellter Dachdeckergeselle mehr Geld rein – und geht pünktlich nach Hause, allenfalls mit einem Überstundenzuschlag und keinesfalls nach 22 Stunden Arbeit.

Machen Sie mal die „ich hab nach schuldenfreiem Studium ’ne halb abbezahlte Praxis von meinen Eltern übernommen“-Fraktion sowie gesettelte, hochspezialisierte Fachpraxen bitte nicht zum Maßstab. Die ersten klinischen Berufsjahre sind für sehr viele Assistenzärzte ein Spießrutenlauf zwischen Marathonschichten, Hierarchie und Bürokratie, selbst bezahlten Weiterbildungskursen in der knappen Freizeit und den eigenen 1.800 netto. Super toll, was wollen die eigentlich?

EISVOGEL, taz.de

Es darf gejammert werden

■ betr.: „Volle Jammerkraft voraus“, taz.de vom 11. 10. 10

Den Artikel schätze ich als uneingeschränkt wertvoll ein. Allenfalls die Diskrepanz der Verhältnisse von Klinik-Assistenzärzten gegenüber niedergelassenen selbstständigen Ärzten hätte klarer herausgestellt werden können. Jedoch findet sich hierzu der wertvolle Hinweis auf die verkannte „Interessenskonvergenz“ von Klinikarzt und Gewerkschaft. Offensichtlich hindert Klinikärzte irgendetwas daran, sich für ihre Arbeitnehmerinteressen zu engagieren. Eine allgemeine Ermangelung von IQ/Bildung wird man kaum annehmen wollen.

Kurzum: Niedergelassene haben kein Grund zum Jammern. Chefärzte am Klinikum schon gar nicht, haben sie ja wohl eine äußerst privilegierte ökonomische Sonderstellung inne, ermöglicht durch die unnötige Existenz von „Privatkrankenversicherungsunternehmen“ neben der GKV. Jammern dürfen junge Klinikärzte. Darüber, dass ihre älteren Kollegen ihre Arbeitnehmerinteressen in der Vergangenheit nicht ausreichend mutig vertreten haben. Jammern darf das Gros der Helfer im Gesundheitswesen. EDUARD, taz.de

Ein beleidigendes Einkommen

■ betr.: „Volle Jammerkraft voraus“, taz.de vom 11. 10. 10

Es gibt halt „Vorne-weg-Ärzte“, das sind Funktionsträger, die Posten und Pöstchen in allerlei Einrichtungen, Instituten, Redaktionen innehaben und die durch ebendiese Nebeneinkommen, gepaart mit „Herrschaftswissen“, ein auskömmliches Einkommen haben! Und dann gibt es den großen Pool der „Rest-Ärzte“, die zu den ganz normalen unfassbaren Bedingungen ein für eine zivilisierte Gesellschaft eigentlich beleidigendes Einkommen haben. Warum gehen die gut ausgebildeten jungen Ärzte ins Ausland? Warum finden Praxen keinen Nachfolger mehr? Warum wollen immer weniger Studierende „Hausarzt“ werden? IRIS DINSING, taz.de

Wahr ist…

■ betr.: „Volle Jammerkraft voraus“, taz.de vom 11. 10. 10

Ihr Gastkommentator schreibt in dem Artikel, Ärzte hätten hohe und steigende Einkommen sowie eine starke Interessenvertretung. Wahr ist für Niedersachsen: a) die Honorare 2010 zu 2009 sind um 7 % gesunken;b) der veröffentlichte Gewinn wird um Praxisausstattungen, Geräteinvestitionen, Praxisrisikoversicherungen und Regresse reduziert (das steht dann in keiner Zeitung); c) die angebliche Standesvertretung ist eine „Körperschaft des öffentlichen Rechts“, wie gesetzliche Krankenkassen auch – also staatsabhängig und vertritt im Konfliktfall Krankenkasseninteressen.

THOMAS MÜNSTERJOHANN, taz.de

Solidarität

■ betr.: „Volle Jammerkraft voraus“, taz.de vom 11. 10. 10

Schön, wenn bei dem ganzen Gerede Solidarität zwischen Arzt und Patient entstehen würde und nicht auf den Patienten hinabgeguckt wird, der trotz Rheumaschub nicht die Heizung aufdrehen kann, der sich wegen undichter Schuhe erkältet oder dessen Blutdruck wegen gewalttätiger Nachbarn steigt. Ökonomie sei nur eine faule Ausrede für Behandlungsunwillige. Die sollen mir mal zeigen, wie sich Hirnareale bei Krach oder Bedrohung nur durch Meditation ausschalten und Belohnungszentren anschalten lassen. Und mit mir mal drei Wochen die Wohnung tauschen und trotzdem ausgeruht zur Arbeit kommen.

DIPLOM HARTZI, taz.de

Für viele wird es enger

■ betr.: „Volle Jammerkraft voraus“, taz vom 12. 10. 10

Der Autor sagt es ja selbst: Für wenige wird es komfortabler und für viele wird es enger, und das ist auch der Grund für die Jammerei. Wer jammert nicht, wenn es ihm schlecht bzw. an den Kragen geht? Eine Branche wird vermehrt den Gesetzen des Kapitalismus unterworfen.

Für die Patienten, das heißt für die Allgemeinheit, heißt die Alternative entweder privatkapitalistisch betriebene medizinische Versorgungszentren (plus individueller ärztlicher Versorgung und Arztwahl für wirklich Reiche) oder Hausärzte für (noch) alle. Die ärztliche Versorgung wird zuerst da schlecht werden, wo es wenige Privatpatienten gibt, also in armen Gegenden in den Städten und in weiten Teilen auf dem Lande. Denn die zusätzlichen Einnahmen durch die Privatpatienten sorgen in dem derzeitigen System für viele Ärzte für das ökonomische Überleben. Für die Allgemeinheit stellt sich die Frage, welche medizinische Versorgung sie wünscht, eine zentralisierte, anonyme Versorgung in medizinischen Versorgungszentren durch demotivierte, unterbezahlte, häufig wechselnde Ärzte oder eine möglichst individuell abgestimmte ortsnahe, kontinuierliche Medizin. KLAUS GRIMMELT, Bad Salzuflen

Schöne und erfüllende Arbeit

■ betr.: „Volle Jammerkraft voraus“, taz vom 12. 10. 10

Um es klar zu sagen: Mir ist das Gejammer etlicher (nicht aller) ärztlicher Organisationen um das Geld nur peinlich! Ich als Hausarzt habe schon das Gefühl, dass meine Arbeit nicht entsprechend meinem Einsatz honoriert wird. Aber das ist eher ein Problem der gerechteren Verteilung und nicht so sehr der zu geringen Geldflüsse seitens der Krankenkassen. Die „asymmetrischen“ Honorarsteigerungen sind da zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Scheinheilig ist die Feststellung der Krankenkassenverbände, die Honorarsteigerungen gingen „zu Lasten der Versicherten“. Natürlich zahlt der/die Patient mein Einkommen. Dafür soll er/sie dann auch mein Engagement, meinen Sachverstand und meine Empathie in Anspruch nehmen können. Viel belastender und frustrierender als finanzielle Aspekte empfinde ich die zunehmende Ökonomisierung und Bürokratisierung meiner Arbeit. Dies und strukturelle Nachteile (Hausärzte in ländlichen Regionen) müssen abgebaut werden, damit wir für unsere schöne und erfüllende Arbeit in Zukunft motivierte und qualifizierte Nachfolger finden. RAINER KANDLER, Bonn

Die richtigen Fragen stellen

■ betr.: „Volle Jammerkraft voraus“, taz vom 12. 10. 10

Die taz liefert mit dem Artikel einen journalistischen Einheitsbrei wie viele deutsche Tageszeitungen. Wer die falschen Fragen stellt, wird sich nicht von anderen differenzieren und wird wie alle anderen inhaltlich doch am Ende das Gleiche schreiben. Den Leser, den Patienten interessiert doch nicht, wie viele Milliarden wieder in das System gepumpt werden. Diese absoluten Zahlen sollen den Leser vor allem erschrecken. Das ist Agitation, kein Journalismus. Am Ende weiß mensch aber wieder nichts Genaues. Nur eines: die Ärzte sind gierig und beuten die Angestellten aus.

Vielleicht fangt ihr mal an, die richtigen Fragen zu stellen. Warum ist das System so intransparent? Warum bekommt der Privatpatient eine Rechnung und kann die medizinischen Leistungen nachvollziehen? Warum weiß der Privatpatient, wie viel sein Medikament kostet? Warum hat der Kassenpatient keine Ahnung von solchen Dingen? Warum werden ihm diese Informationen vorenthalten? Warum jedes Jahr eine neue Gesundheitsreform?

Dass kaum ein Politiker den Mut hat, das System komplett in Frage zu stellen ist klar. Die aktuellen Belastungen sind groß genug. Noch eine Agenda 2010 will sich keine Partei leisten.

Aber warum sich die taz nicht traut, diese Fragen zu stellen, versteh ich nicht.

JENS SCHLICHT, Kaiserslautern

ÄrztInnen streiten in der nächsten Woche um die regionale Verteilung des Geldes und ein „Ärztlicher Sachverständigenrat“ rief zu Zeitungs- und Zeitschriftenabokündigungen auf. Und fragt man ÄrztInnen, geht es dem Berufsstand zunehmend schlechter. So schlimm ist es gar nicht, widerspricht der Allgemeinmediziner Harald Heiskel in seinem Beitrag „Volle Jammerkraft voraus“. Damit wollten sich andere MedizinerInnen nicht abfinden. Zahlreiche Zuschriften gingen sowohl in der online-taz als auch in der LeserInnenbriefredaktion ein. Eine kleine Auswahl dieser Zuschriften geben wir hier wieder. In der online-taz finden Sie weitere Kommentare unter: www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/kommentarseite/1/volle-jammerkraft-voraus/kommentare/1/1/