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Sigmar Gabriels halber Erfolg

DOPPELPASS Der Kompromiss zur „Optionspflicht“ von Migrantenkindern stößt in der SPD auf Kritik

Die Einigung trage die Handschrift der Union, tönt Thomas Strobl (CDU)

BERLIN taz | Der große Wurf ist es nicht, das können selbst SPD-Politiker nicht verhehlen. „Es ist kein Geheimnis, dass ich eine vollständige Abschaffung der Optionspflicht bevorzuge“, sagte Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) am Freitag zur taz. Auch Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, hätte sich „eine weitergehende Regelung gewünscht“, gab sie zu.

Als „sehr unbefriedigend“ bezeichnete Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) den Gesetzentwurf zur doppelten Staatsbürgerschaft von Migrantenkindern: Es bleibe bei „einem riesigen integrationsfeindlichen Bürokratiemonster“. Sein Bundesland hat gemeinsam mit Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im Bundesrat beantragt, die Optionspflicht ganz abzuschaffen.

Doch nach dem Gesetzentwurf, auf den sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Donnerstag nach mehrwöchigem Koalitionsstreit geeinigt haben, sollen sich Einwandererkinder, die von Geburt an neben der deutschen die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern besitzen, nur dann nicht mehr zwischen den beiden Pässen entscheiden müssen, wenn sie mindestens 8 Jahre in Deutschland gelebt haben. Oder wenn sie 6 Jahre in Deutschland die Schule besucht haben oder einen deutschen Schul- oder Ausbildungsabschluss vorweisen können. Auch wenn das für die meisten Betroffenen gelten dürfte: Für die SPD ist es nur ein halber Erfolg. Denn SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hatte behauptet, er werde den Koalitionsvertrag mit der CDU nur unterschreiben, wenn die doppelte Staatsbürgerschaft komme. Das gilt jetzt nur noch mit Einschränkungen.

„Ich freue mich, dass wir dem Ziel, die Optionspflicht abzuschaffen, ein großes Stück näher gekommen sind“, gab sich die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), verhalten zufrieden. Immerhin sei die Beweislast jetzt umgekehrt: Nicht die betroffenen Jugendlichen müssten ihr Aufwachsen in Deutschland nachweisen, sondern die Behörden müssten im Zweifelsfall das Gegenteil beweisen. Özoguz’ Parteikollegin in Baden-Württemberg, Bilkay Öney, war skeptischer: Der Kompromiss müsse erst „in der Praxis beweisen, dass er Betroffenen und Behörden tatsächlich Erleichterungen gegenüber dem Status quo bringt“. Voll und ganz zufrieden zeigte sich die Union: „Die Einigung beim Doppelpass trägt die Handschrift der Union“, tönte der Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thomas Strobl: „Wir verlangen weiterhin ein Mindestmaß an Integration.“

Die Opposition lässt kein gutes Haar an dem Gesetzentwurf. Die Linkspartei-Abgeordnete Sevim Dagdelen sprach von einem „kleingeistigen, engstirnigen und faulen Kompromiss“. Und der innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, urteilte, die Optionspflicht werde, anders als von Union und SPD behauptet, gar nicht abgeschafft, sondern weitergeführt. Auch Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, sprach von einer „Optionspflichtverlängerung“.

Bislang müssen sich Jugendliche spätestens bis zu ihrem 23. Geburtstag entscheiden, welche Staatsbürgerschaft sie haben wollen, weil die Mehrstaatlichkeit im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht nach dem Willen der Union weiter eine „Ausnahme“ bleiben soll. DANIEL BAX

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