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Archiv-Artikel

Ring von Feuer

Tolle Filme über todesmutige und noch durchgeknalltere Hinterwäldler in den USA: Das „Hillbilly Babylon“-Festival im Eiszeit-Kino feiert umfassend die Kauzigkeit

Erst in der Stadt lässt man sich das verkehrt gepikte Hakenkreuz übertätowieren

Zum Glück lernt man ja nie aus. Dass es im Osten der USA, in der Appalachen-Bergkette, eine Unterbewegung der Pentecostalismus-Kirche (in Deutschland heißt sie „Pfingstbewegung) gibt, die sich „Church of Holiness“ nennt und als besonders bekloppte Idee „Rattlesnake-Handling“ und „Strychnin-Drinking“ zum Seligwerden probiert, ist doch zum Beispiel mal eine interessante Information.

In der Dokumentation „The True Meaning of Pictures“, die dem Fotografen Shelby Lee Adams durch die Appalachen folgt, wird man Zeuge eines solchen Rituals: Ein Mann wedelt bei einem Gottesdienst so lange mit einer ahnungslosen Klapperschlage herum, bis sie ihn in den Arm beißt.

Der Fotograf, der als einer der wenigen Nicht-Church-of-Holiness-Anhänger bei diesem Quatsch Zeuge sein durfte, begleitet den Gläubigen bis ins Krankenhaus und danach wieder nach Hause – mit offener, den Arm komplett verunstaltender Bisswunde. Die Mitglieder dieser Gemeinde beziehen sich bei ihren gefährlichen Spielchen auf einen umstrittenen Absatz aus dem Markus-Evangelium, in dem es heißt, man könne „in Gottes Namen Schlangen aufheben und Todbringendes trinken“, ohne dass etwas passiert. Wenn doch etwas passiert – und es sterben bei den von offiziellen Kirchen verbotenen Ritualen regelmäßig Menschen –, hat man eine maue Erklärung parat: Dann lag es nicht am fehlenden Glauben, dann sollte der Mensch ohnehin gehen.

Hillbillys eben. Sie sind in Deutschland höchstens durch die schlimme 70er-Jahre-Serie und deren nicht minder schlimme Kinoadaption „Ein Duke kommt selten allein“ (2005) bekannt, in der zwei notorisch Ärger suchende Cousins unablässig in schmutzigen Blechkisten herumsausen und weder Pfützen noch Fettnäpfchen auslassen. Außerdem weiß man vielleicht, dass aus den Appalachen die Bluegrassmusik, Mutter des Country, kommt. Und seit den „Waltons“ ist wohl bekannt, dass „Moonshining“ das Schwarzwhiskybrennen bezeichnet – späterer Konsum härtet für noch späteren Strychningenuss ab.

Das Kreuzberger Eiszeit-Kino hat ein umfassendes Programm rund um die merkwürdigen Hinterwäldler und ihre teilweise erstaunlichen Vorlieben zusammengewürfelt. Neben alten und neuen Dokumentationen über Menschen und Musik bietet es auch Spielfilme zum Thema: In „Der Tiger hetzt die Meute“ (1973) mit Burt Reynolds werden dickste Südstaatenklischees rund um eine Whiskybrenner-nimmt-Rache-Geschichte aufgetürmt. Und in „Beim Sterben ist jeder der Erste“ (1972) mit Jon Voigt werden vier Großstädter bei einem Appalachen-Trip von den krummnasigen, durch jahrhundertelangen Inzest eigenwillig gelaunten Eingeborenen angefallen.

Besonders hübsch sind alte Schätzchen wie „Child Bride“ von 1938, in dem ein ehemaliges Landei als gebildete Lehrerin in die fruchtbaren Dörfer zurückkehrt, um gegen die weit verbreitete Sitte der „Child Marriages“ – Mädchen im Kindesalter mit erwachsenen Männern zu verheiraten – zu kämpfen. Über den Wahrheitsgehalt der Kübel Vorurteile, die in Filmen und modernen Legenden über die Hillbillys ausgegossen wurden, kann man sich aber am besten in den außergewöhnlichen Dokus ein Bild machen.

Allen voran die wunderschön gefilmte Shelby-Lee-Adams-Dokumentation, aber sehenswert sind auch die beiden Filme über den spinnerten Stepptänzer Jesco White, der es bis zu einem Gastauftritt bei „Roseanne“ schaffte. Der lässt sich – wenn man schon mal am Hollywood Boulevard ist – nach der Talkshow erst mal das krakelige, aus Versehen links herum in das Handgelenk gepikte Hakenkreuz übertätowieren.

Den Soundtrack für diese Geschichten liefern Bluegrass-Balladen zum Banjo, typischerweise voller Inbrunst von einer zahnlosen Oma mit Pfeife im Mund gesungen und mit gichtigen Fingern gezupft. Zur Abwechslung gibt es aber auch die Profiform: Filme über Johnny Cash und die traditionell musikalische Country-Familie von Cashs Ehefrau June Carter („Rainbow Quest: Johnny Cash & June Carter“ und „The Carter Family“) runden das Bild ab, das man sich nach diesem unglaublich vielseitigen Programm neu malen muss: Die Auseinandersetzung mit den Appalachen, die auch in den USA oft nur in Klischees und Prototypen (vergleichbar vielleicht mit dem hiesigen Bild des Ostfriesen) stattfindet, geht in eine neue Runde, in der zwar nicht alle Vorurteile aufgehoben, viele aber zumindest erklärt werden.

Das Hillbilly-Land, das West Virginia und Teile von 12 anderen Staaten umfasst, seine Kultur und sein, wie es im Programmheft heißt, „rauer, unabhängiger und oftmals sehr armer Menschenschlag“ ist auf jeden Fall eine Kinoreise wert. Und ob man nach dem Programm erst recht oder lieber auf gar keinen Fall selber mal hinfahren möchte, bespricht man am besten mit den Experten, die zu begleitenden Lesungen und Livekonzerten eingeladen wurden.

JENNI ZYLKA

„Hillbilly Babylon – Film and Music Festival“, bis 4. 10., Eiszeit-Kino, Kreuzberg, www.hillbillybabylon.com