Gestrandet in Madrid

Auf die Kanaren geflohen, aufs Festland gebracht. In drei Monaten müssen Flüchtlinge in Spanien Job und Bleibe finden

AUS MADRID REINER WANDLER

Sidu Califa, 27, und Pape Djibi-Dia, 19, warten vor der Herberge „El Parque“ im Osten Madrids. Um 18 Uhr geht das schwere Metalltor auf. Dutzende von illegalen Einwanderern – die sin papeles – werden eingelassen. 120 Schwarzafrikaner – alles junge Männer – leben in dieser „Erstunterkunft“ des Roten Kreuzes. Für maximal drei Monate können die Flüchtlinge in dieser früheren Schule bleiben, dann müssen sie auf eigenen Beinen stehen: Ein Job, eine Bleibe müssen her. Das ist schwer ohne Papiere.

Die Geschichte von Califa und Djibi-Dia gleicht der von zehntausenden Afrikanern. Beide sind im Sommer in cayucos – Holzbooten – auf die Kanaren gelangt. Califa stammt aus Guinea-Bissau. Fünf Jahre arbeitete er in Mauretanien als Fischereigehilfe, bis er die 800 Euro für die Überfahrt zusammenhatte. Djibi-Dia kommt aus dem Senegal. Er verdiente sich die Reise als fliegender Händler auf den Märkten Dakars zusammen. Auf den Kanaren kamen die Flüchtlinge erst vier Wochen in Abschiebehaft. Weil ein Rücknahmeabkommen mit ihren Heimatländern fehlt, müssen die meisten schließlich freigelassen werden. Die Polizei fliegt sie aufs Festland aus, dort landen sie in „Erstunterkünften“ wie der Albergue El Parque. Alle träumen von einem Job, um ihre Familie zu Hause unterstützen zu können.

„Wir versuchen alles, um den Immigranten den Schritt ins selbständige Leben zu ermöglichen“, sagt Ali Kadhim. Der Iraker, der in den Achtzigerjahren selbst als Flüchtling nach Spanien kam, leitet El Parque. Er weiß: Wer Familie oder Bekannte in anderen spanischen Städten oder im restlichen Europa hat, reist meist bald weiter. Denen, die bleiben, bietet das Rote Kreuz Sprachkurse, Rechtsberatung und Tipps für den Alltag in Spanien an. Bereitet das Rote Kreuz die Immigranten nicht mit staatlichen Geldern für den schwarzen Arbeitsmarkt vor – und damit auf ein rechtloses Dasein mit Niedriglöhnen? „Der informelle Arbeitsmarkt ist ihre einzige Chance. Er macht 20 Prozent der spanischen Wirtschaft aus“, weist Kadhim diesen Vorwurf zurück. Arbeiten auf dem Bau, in der Landwirtschaft, als fliegender Händler mit raubkopierten CDs und DVDs, Taschen und sonstigen Accessoires sei nun mal das einzige, was Spanien für sin papeles bereithalte.

Pape Djibi-Dia versucht jeden Tag aufs Neue, in der Schattenwirtschaft unterzukommen. Auch heute hat er sich um 5 Uhr früh an eine der Ausfallstraßen Madrids gestellt. Er und hunderte andere Immigranten hoffen, dass sie jemand mitnimmt zu einem Tagesjob. „Ich hatte aber keinen Glück“, sagt der 19-Jährige, während er mit dem einzigen Wertartikel spielt, den er besitzt: ein Handy jüngster Generation an einem Stoffband in Rastafarben. Keiner der Bauunternehmer, die auf dem Arbeitsstrich sin papeles anheuern, hat rechtes Zutrauen zu dem schmächtigen Senegalesen. Einen anderen Job zu finden ist noch schwerer. Nur wenigen gelingt das. Califa schon. Er trägt Werbung aus und träumt davon, mit anderen Immigranten eine Wohnung zu teilen.

„Der Hälfte unserer Bewohner gelingt der Sprung ins Leben mit Arbeit und Wohnung. Die andere Hälfte wird in eine andere Herberge vermittelt oder landet auf der Straße“, ist die Erfahrung von Kadhim. „Die Schwarzen haben es besonders schwer“, weiß er. Sie sind meist schlechter ausgebildet als Einwanderer aus Osteuropa oder Lateinamerika. Nur wenige verfügen über familiäre Netze, vor allem haben sie meist keinen Pass. Sie machen die Überfahrt ohne Papiere, um später nicht identifiziert und zurückgeschickt werden zu können. Doch erst einmal in Spanien angekommen, rächt sich das.

„Ohne Papiere können sie nicht mal die wenigen Integrationsmöglichkeiten in Anspruch nehmen, die das Land bietet“, sagt Kadhim. Denn nur wer sich als Illegaler auf dem Einwohnermeldeamt einschreibt, wird kostenlos ärztlich versorgt. Wichtiger noch: Die Einschreibung beweist, wie lange man schon im Lande ist. Arraigo – Verwurzelung – heißt das Zauberwort. Wer nachweisen kann, dass er drei Jahre in Spanien gelebt und gearbeitet hat, hat laut Ausländergesetz das Recht auf eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung. „Doch ohne Pass ist ihnen selbst dieser Weg in die Legalität verwehrt“, sagt Kadhim.

Califa gehört zu denen, die das Heim schon bald verlassen können. Er hofft: „Irgendwann wird mich die Regierung dann legalisieren.“ Djibi-Dia ist nicht so optimistisch. Mit Arbeit sieht es schlecht aus. Noch drei Wochen hat er, bevor seine Zeit in der Herberge abläuft. Weil es in Madrid nichts wird, würde er gerne nach Barcelona weiterreisen, dort hat er einen Bruder. Beide kamen im gleichen Boot. „Doch mein Bruder kann mir auch nicht helfen. Ihm geht es wie mir. Er lebt auch in einer Herberge und hat auch noch keine Arbeit.“