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Archiv-Artikel

SCHWABINGER KRAWALL: UNERKANNTE TALENTE

VON MICHAEL SAILER

Dass die Jacqueline zweimal die Woche zum Gesangsunterricht geht und erst im Morgengrauen heimkommt, hat der Jackie erst mitgekriegt, wie er zufällig mal früher daheim war und leise durch die Wohnung tappen wollte, damit sie nicht aufwacht. Dabei ist er über das Bügelbrett gestolpert und mit dem Bügeleisen am Fuß in eine Batterie leerer Proseccoflaschen gestürzt, hat das Garberobengitter heruntergerissen und dabei immerhin das Rauchpiece wiedergefunden, das ihm der Libanesen-Achmed vor Monaten geschenkt hat und das er damals in seinem Regenschirm versteckt hat.

Wie die Jacqueline zwei Stunden später gekommen ist und von dem Plattenproduzenten erzählt hat und dass der Jackie an ihrem Leben so wenig Interesse habe, dass er nicht mal was von ihrer neuen Karriere wisse, war er lieber still. Aber gewurmt hat es ihn doch, zumal er mit 16 fast Popstar geworden wäre, wenn er nicht beim ersten Auftritt dem Porno-Pauli auf den Verstärker gekotzt hätte und am nächsten Tag mit einem Zettel in der Hand („Du Arschloch! Deine Ex-Band“) im Papierkorb vor der Schulturnhalle aufgewacht wäre.

Wie er den Hubsi gefragt hat, ob er nicht Lust hätte, wieder in einer Band zu spielen, hat der gesagt, dass die Hasen heutzutage nicht mehr auf Rockmusiker abfahren, sondern auf so Biathlon- und andere Wintersport-Würstchen, und er müsse jetzt zum Skikurs. Den Porno-Pauli wollte er nicht fragen, wegen damals, und von dem Schlagzeuger hat er 14 Telefonnummern bei Mädels gehabt, die alle nicht mehr gestimmt haben, ebenso wenig wie die 16 neuen, die ihm die Mädels gegeben haben, bis er endlich erfahren hat, dass der Schlagzeuger die Handtuch-Helga aus dem Hasenbergl mit drei Kindern sitzengelassen hat und jetzt in einer Landkommune in Südfrankreich wohnt, wo es weder Telefon noch Gerichtsvollzieher und eigentlich auch keine Adresse gebe. Und von dem Bassisten ist ihm nicht mehr eingefallen, wie der geheißen und ausgesehen hat und ob es die ganzen drei Monate lang derselbe war.

Also ist er zum Renato und hat der hübschen neuen Bedienung erzählt, sie habe eine Superstimme und ob sie schon mal daran gedacht habe, Sängerin zu werden. Das hat sie wenig beeindruckt, und wie er nach dem fünften Caipi immer noch insistiert hat, hat sie das Licht an- und die Musik ausgemacht, und da hat er gesagt, dann müsse er eben Klavier spielen, schließlich sei er Produzent und sie ein Riesentalent, und ob es jetzt drei Uhr früh sei, tue nichts zur Rolle. Hinterher ist ihm ein Mann mit fünf Kilo Bart um den Hals gefallen und hat gesagt, das sei der beste Free Jazz, den er seit Montreux 1961 gehört habe, und da hat sich der Jackie gedacht, dass Musik doch nicht das Richtige für ihn ist, wenn er etwas spielt, von dem er gar nicht weiß, was es ist. Und wie die Jacqueline heimgekommen ist und gesagt hat, der sogenannte Produzent sei genau dieselbe Pottsau wie er und alle Männer, weil er sie bloß flachlegen habe wollen, und sie wolle von diesem Musikzeug nichts mehr hören, hat er beschlossen, nächste Woche seine Gitarre aus dem Keller zu holen und bei Ebay zu verkaufen.