: Immer weiter mit William
Aufbrüche allerorten: Als die taz Bremen geboren wurde, ging die Shakespeare Company gerade in den Kindergarten. Ein Interview unter (fast) Gleichaltrigen zum 23. Geburtstag der bsc
Interview: Henning Bleyl
taz: Reichen 23 Jahre, um Shakespeares Gesamtwerk auf die Bühne zu bringen?
Renate Heitmann: Alles haben wir noch nicht gespielt, einiges dafür zweimal – etwa 15 Prozent fehlen noch. Zum Beispiel warten wir immer noch auf einen Zugriff auf diesen großartigen „Richard III“. Man muss ja einen Grund haben, warum man was und mit wem macht. Auch „Ende gut alles gut“ liegt immer noch ganz oben auf dem Stapel.
Etwa ein Drittel Ihres Repertoires ist ohnehin Shakespeare-frei.
Heitmann: Von Anfang an haben wir in der Dramatikerwerkstatt eigene Stücke entwickelt. Shakespeare hat zum Beispiel nicht wirklich was über Fußball geschrieben, aber bei der WM wollten wir mit „Ein Königreich für einen Ball“ schon dabei sein. Stücke fremder Autoren hingegen sind noch die Ausnahme.
Kommen wir gleich zur Kollektiv-Frage: Existiert das noch oder haben Sie mittlerweile auch klare Hierarchien eingeführt?
Heitmann: Macht kommt bei uns vor allem von machen. Wir Alten haben dabei natürlich einen Erfahrungsvorsprung.
Lüchinger: Wir sind ein Betrieb, der sehr viel Freiheit verspricht. Allerdings muss man die sich auch nehmen, daran scheitern relativ viele. Und dann bleibt die Verantwortung an uns kleben.
Sie sind also die Chefs?
Lüchinger: Nein. Im Alltagsgeschäft treffen wir schon einige Entscheidungen allein, da sind wir nicht mehr so pingelig wie früher. Aber auf der Bühne bin ich natürlich keinen Deut besser. Das ist ein demütiger Prozess, in den ich zusammen mit allen anderen stolpere.
Heitmann: Die Bühne ist für uns ein geschützter Bereich, auf der Spielfläche gelten gleiche Rechte. Darüber hinaus übernimmt das Ensemble viele andere Aufgaben wie Disposition, Hausmeisterei, den Jugendclub, einer ist Putzfrauen-Beauftragter. Ich zum Beispiel habe hier vor 15 Jahren als Regieassistentin angefangen und dann gemerkt, dass mir Organisation und Dramaturgie mehr liegt. Für solche Entwicklungen braucht man Räume, die keine feste Struktur haben – das ist etwas sehr Kostbares.
Haben sich die Strukturen nicht mittlerweile etabliert?
Heitmann: Sie sind immer noch sehr durchlässig.
Lüchinger: Natürlich trifft man hier mit seinen Vorstellungen und Wünschen auf ein Gegenüber, da muss man dann Überzeugungsarbeit leiten. Das ist doch wie bei der taz auch: Durch solche Reibungen entwickeln sich gute Journalisten.
Das war das Stichwort für die historische taz-Anekdote. Kennen Sie eine?
Heitmann: Ich fand es sehr aufregend, bei der Gründungsversammlung der taz-Genossenschaft in Berlin dabei zu sein. Mein Freund und ich waren die einzigen Landeier und da gab es immer wieder erregte Äußerungen: Es könne doch nicht sein, dass jeder, der aus Buxtehude kommt, auch was zu sagen hätte. Ich war zwar aus Scheeßel, aber das konnten sich die Großstädter nicht merken. Ich hab‘ mich dann trotzdem als freie Mitarbeiterin beteiligt.
Im Gegensatz zur taz hat die Shakespeare Company noch den legendären Einheitslohn.
Lüchinger: Das ist eine Kuh, die nie geschlachtet wurde, aber kurz vor der Bank steht. Immerhin hat uns der Einheitslohn bisher die Diskussion um die Selbstausbeutung erspart, weil sie bei allen gleich war.
Zur bsc gehört auch das Thema Trennungen und Tränen. 1991 hat sich das TAB [„Theater aus Bremen“] als Abspaltung gegründet, zehn Jahre später sind Norbert Kentrup und Dagmar Papula mit großem Getöse gegangen.
Lüchinger: Für mich sind das keine Brüche, sondern Prozesse. Es gehört dazu, dass es Ausscheidungen gibt. Die wichtigere Frage – und an der sind wir in den Neunzigern gescheitert – ist, wie man das Modell unabhängig von Personen weiter geben kann.
Wobei es sich ja auch ändern können muss, oder?
Heitmann: Klar, aber das ist ein mühsamer Prozess. Es gibt immer wieder Dinge, bei denen ich mich weigere, abstimmen zu lassen – da wäre Demokratie eine ganz dumme Lösung. Man muss das stattdessen ausdiskutieren: Wenn zum Beispiel die Schauspieler beschließen, vor Beginn der Vorstellung keine Programmhefte mehr zu verkaufen, dann müsste erst eine andere Lösung gefunden werden, um schon ganz früh die Publikumsnähe herzustellen.
Lüchinger: Es gibt gewisse Säulen, die wir aufrecht erhalten müssen. Wir begreifen unsere Aufführungen als Fest, zu dem wir Gäste empfangen.
Das klingt jetzt so, als wären Sie die Gralshüter des Volkstheaters.
Lüchinger: Von „Volkstheater“ reden wir gar nicht mehr so oft, das ist seit den Neunzigern mit den „Wir sind das Volk“-Demonstrationen ein schwieriger Begriff geworden. Auch andere Begriffe haben sich für uns geändert: Wir sind kein „alternatives Theater“ mehr, unser Publikum kommt aus allen Bereichen.
Für die Company-Gründer, die eine Alternative zum Stadttheaterbetrieb wollten, war Robert Weimanns „Shakespeare und die Tradition des Volkstheaters“ eine Art künstlerische Bibel.
Heitmann: Inhaltlich halten wir an den Prinzipien der publikumsnahen Spielweise ja auch fest. Wir machen ein erzählendes Theater, die Verwandlung der Schauspieler geschieht erst auf der Bühne, das hebt uns schon noch von anderen Häusern ab.
Was hat sich intern verändert?
Lüchinger: Wir haben jetzt ein schriftlich fixiertes Konflikt-Szenario, in dem zum Beispiel der Umgang mit einem Veto klar geregelt ist. Nach Norberts Weggang haben wir übrigens auch das Wort „Plenum“ abgeschafft, weil es derart verbraucht war.
Heitmann: Das war wirklich nur noch Blut, Schweiß und Tränen.
Wie heißt die Veranstaltung jetzt?
Heitmann: „A und Z“ – Alltag und Zukunft.
Apropos: Wo findet Ihre Zukunft statt? Am Leibnizplatz soll ja eine Ganztagsschule entstehen.
Heitmann: Als die Company 1989 hier eingezogen ist, war das ohnehin nur als Provisorium gedacht. Wir kommen alle Jahre wieder in die Debatte um den Standort, ohne dass sich wirklich etwas tut. Die Idee mit der Stephanikirche ist auch vom Tisch, weil die Gemeinde das Kulturprogramm dort selbst gestalten möchte. Allerdings habe ich gerade die „Umgedrehte Kommode“ besichtigt – das wäre natürlich ein sehr interessanter Ort.
Es ist der sensationellste, den Bremen einem Theater zu bieten hat. Ist das eine realistische Option?
Heitmann: Im Augenblick ist alles im Fluss, die „swb“ [die früheren Bremer Stadtwerke] hat den Verkauf der Immobilie noch nicht abgewickelt. Aber immerhin habe ich schon die Telefonnummer des künftigen Besitzers.