: Inseln im Schrecklichen
Die Verfilmung der Lebenserinnerungen des schwarzen Deutschen Hans-Jürgen Massaquoi, „Neger, Neger, Schornsteinfeger“, zeichnet ein glaubwürdiges Bild der NS-Zeit (So./Mo., 20.15 Uhr, ZDF)
VON PETER LULEY
Mit dem Herbst ist sie nun also wieder angebrochen, die Zeit der ambitionierten Fernseh-Großprojekte: Gestern lief „Die Mauer“ auf Arte, am Sonntag und Montag folgt im ZDF die zweiteilige Bestseller-Verfilmung „Neger, Neger, Schornsteinfeger“, und am 1. November strahlt die ARD „Nicht alle waren Mörder“ aus, ebenfalls eine Romanadaption. Gerade nach der letzten Runde (Luftbrücke, Sturmflut, Dresden) dieser gut geölten, oft lärmend-aufgeblähten so genannten Event- oder Leuchtturmfilme liegt es nahe, dem Phänomen mit Skepsis zu begegnen – und auch das begleitende PR-Getöse (heute bei „Wetten, dass …?“: „Neger, Neger“-Star Veronica Ferres) muss man nicht mögen.
Kein Ferres-Vehikel
„Neger, Neger, Schornsteinfeger“, die von Produzent Markus Trebitsch für rund 5 Millionen Euro realisierte Adaption der 1999 unter demselben Titel als Buch erschienenen Lebenserinnerungen von Hans-Jürgen Massaquoi, ist dennoch ein sehenswerter, seriös gemachter Film. Es gelingt ihm, das außergewöhnliche Schicksal der Hauptfigur, eines schwarzen Jungen, der im Hamburg der Nazizeit aufwuchs, packend zu schildern und zugleich etwas über die ganz alltägliche Grausamkeit der braunen Jahre zu erzählen. Die Verfilmung ist kein Ferres-Star-Vehikel – dazu ist die Figur des Ich-Erzählers Hans-Jürgen, der im Verlauf der 180 Minuten von drei hervorragenden Darstellern verkörpert wird (Luka Kumi, Steve-Marvin Dwumah, Thando Walbaum), viel zu dominant.
„Hey, black man, what are you doing here, are you a soldier?“, fragt zu Beginn des Films ein alliierter schwarzer Soldat auf Patrouille den schwarzen Teenager im zerbombten Hamburg des Jahres 1945. „Nein, ich lebe hier, ich bin Deutscher“, sagt der Junge. „That’s unbelievable, you’re alive“, entgegnet der Befreier und schenkt ihm Süßigkeiten. Dass Hans-Jürgen als „Nichtarier“ den NS-Rassenterror überstand, ist in der Tat ein fast unglaubliches Wunder; aber ein durch den heute in den USA lebenden 80-jährigen Autor verbürgtes.
Der Einstieg ist freilich nur eine erzählerische Klammer: Nun blenden Drehbuchautorin Beate Langmaack und Regisseur Jörg Grünler zurück ins Jahr 1926, in dem Hans-Jürgen als Sohn eines Liberianers und einer deutschen Krankenschwester (Ferres) geboren wird. Zunächst leben Mutter und Kind, umsorgt von weißen Bediensteten, in der Villa des Großvaters väterlicherseits, eines liberianischen Konsuls, und warten auf die Rückkehr von Hans-Jürgens Vater, der im Ausland studiert. Als diese jedoch ausbleibt und der Diplomat nach Afrika zurückgerufen wird, nimmt Mutter Bertha ihre Arbeit als Krankenschwester wieder auf und zieht mit dem Knaben in eine Wohnung im Stadtteil Barmbek.
Kein „Ohnsorg-Theater“
Jene Jahre in dem Arbeiterviertel, die für den Jungen mit der Erkenntnis beginnen, dass dunkle Haut und krauses Haar nun nicht mehr wie in Opas Villa ein Zeichen von Überlegenheit zu sein scheinen, sondern scheele Blicke und provozierende Sprüche wie den titelgebenden nach sich ziehen, gehören zu den Stärken des Films. Gelegentlich mag das Quartier, das in Wittenberge nachgestellt wurde, ein wenig zu pittoresk und sauber wirken; die ein oder andere Szene mit Hans-Jürgens treuen Kameraden Klaus und Fiete mag etwas schmunzelig-idyllisch geraten sein. Man muss aber nicht gleich wie einige Kritiker von „Ohnsorg-Theater“ sprechen, nur weil mal Worte wie „Schietbüdel“ fallen und Seemannslieder für Lokalkolorit sorgen. Denn die raue Realität kommt keineswegs zu kurz: Insbesondere mit der Figur des Krankenhaus-Personalchefs Franz (Götz Schubert), der sich in die allein erziehende Mutter Bertha verliebt und auch zu dem Jungen ein Verhältnis aufbaut, sich aber schließlich für Parteikarriere und Privilegien entscheidet, gelingt die gruselig-fesselnde Studie eines Mitläufers, der zum Täter wird.
Quälend schleichend vollzieht sich die Eskalation der Verhältnisse auch in der Schullaufbahn des Jungen: Bekommt er sein Außenseitertum zunächst nur durch kleine Hänseleien zu spüren und hat in der aufrechten Pädagogin Fräulein Eilert (Sabine Wolf) eine couragierte Schutzpatronin, so wird bald auch an der Lehranstalt das „Guten Morgen“ durch den „deutschen Gruß“ ersetzt. Geradezu frösteln machen die Szenen mit dem fanatisch-sadistischen Direktor Wriede (Helmut Zhuber), der den Klassenbesten Hans-Jürgen im Sportunterricht demütigt und ihm später die Aufnahme ins Gymnasium verwehrt. Bizarr die Bilder, wenn der schwarze Junge stolz mit dem Hakenkreuz-Aufnäher herumläuft, den ihm „Onkel“ Franz geschenkt hat, und vergebens versucht, ins Jungvolk einzutreten, weil er sich doch als Deutscher fühlt.
Der zweite Teil springt dann recht schnell ins Kriegsjahr 1941 und kommt entsprechend auch um die naturalistische Darstellung von Bunker- und Bombardementszenen nicht herum. Man kann darüber diskutieren, ob der 90-Minüter „Nicht alle waren Mörder“, der (nach der Autobiografie von Michael Degen) ebenfalls davon handelt, wie eine alleinstehende Mutter (Nadja Uhl) ihren bedrohten (hier: jüdischen) Jungen durchzubringen versucht, das Grauen, die Gehetztheit der Verfolgten, in seiner Komprimiertheit nicht noch drastischer, dringlicher transportiert. Bestaunenswert an „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ aber bleibt über die ganze Strecke die unerschöpfliche Energie des Jungen, Rückschläge und Diskriminierungen wegzustecken, sich immer wieder aufzurappeln und nach Inseln des Schönen im Schrecklichen zu suchen.