Romantik war gestern

Der Fall Siemens/BenQ ist ein Lehrstück der globalisierten Wirtschaft: Während die Konzerne ihren Handlungsvorsprung nutzen, hängen die gesellschaftlichen Akteure noch alten Vorstellungen nach

VON THILO KNOTT

„Heute kann sich ein Unternehmen lange Schwächephasen auch in Teilbereichen nicht mehr leisten.“

(Heinrich von Pierer, früher Vorstandschef und heute Aufsichtsratschef bei Siemens)

Die Globalisierten

Der Aufschrei ist groß. Alle reden von Versagen – Managerversagen. Das betrifft den Weltkonzern Siemens, der die defizitären Handy-Werke 2005 an das taiwanesische Unternehmen BenQ abgegeben hat, und den jetzigen Eigner selbst, der vergangenen Freitag Insolvenz angemeldet hat. Und alle reden von Schaden – Imageschaden. Das betrifft vor allem Siemens. Denn schließlich habe der Weltkonzern mit Sitz in München die Misere in Bocholt und Kamp-Lintfort ja ursächlich zu verantworten. BenQ hat übrigens hierzulande keinen Imageschaden, weil der Konzern in Deutschland kein Image zu verteidigen hat.

Schon komisch, diese Vorstellung: Wenn ein Unternehmen Pleite macht, dann hat es versagt und sich selbst geschadet. Dieser Vorstellung aber unterliegt ein romantisches Weltbild, das noch nicht so recht angekommen ist in der globalisierten Welt. Denn die Wirtschaftswelt ist nicht romantisch. Wenn sie es wäre, dann wäre es kein Wirtschaften mehr. Sowohl Siemens als auch BenQ haben vom gegenseitigen Geschäft durchaus auch profitiert. Trotz der jetzigen Pleite. Siemens, weil es sich durch das Geschenk mit mindestens 350 Millionen Euro „Mitgift“ an BenQ zumindest der täglichen Verluste von 1 Million Euro sowie möglicher Arbeitsrechtsverfahren und Insolvenzverfahren entledigt hat. Und BenQ, weil es neben der „Mitgift“ auch hübsche und wertvolle Überbleibsel wie Marken- und Patentrechte (in Asien ist die Marke „Siemens“ besonders wertvoll) gesichert hat.

Warum also die Rede von „Versagen“ und „Schaden“? Weil es mitunter eben schwer erträglich ist, gerade die erste große Negativ-Erfahrung mit der Globalisierung zu machen. Und weil es schwer erträglich ist, erkennen zu müssen, dass derartige Weltkonzerne immer einen Handlungsvorsprung haben – zum Beispiel gegenüber Gewerkschaften.

„Eine Heuschrecke ist ein zahmes Haustier dagegen.“

(Detlef Wetzel, Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen)

Die Machtlosen

Und plötzlich war die 40-Stunden-Woche wieder da. Und zudem das Urlaubs- und Weihnachtsgeld weg – es sollte durch eine erfolgsabhängige Jahreszahlung ersetzt werden. So hatten es Siemens und die IG Metall im Juni 2004 für die Handy-Werke in Bocholt und Kamp-Lintfort ausgehandelt. Die Gegenleistung: eine zweijährige Jobgarantie. Zyniker könnten jetzt anmerken: Die zweijährige Jobgarantie wurde quasi voll ausgeschöpft.

Nach der damaligen Einigung gab es Streit in der Gewerkschaft. Ein hoher, mit Tarifpolitik sehr gut vertrauter IG-Metall-Funktionär sprach damals von „Hospiz-Politik“. Was er meinte: Tarifpolitische Sterbehilfe verschleppt nur den Tod – sie hält ihn aber nicht auf.

Warum also soll das die IG Metall mitmachen? Prophetisch war die Kritik damals nicht. Nur realistisch. Sie dokumentiert gleichzeitig die Machtlosigkeit der Gewerkschaften in solchen Fällen. Sollen sie also den Prozess der Globalisierung begleiten oder sich überrollen lassen? Im Fall BenQ wurden sie überrollt. Und am Ende bleibt auch ihnen nur die Empörung und der Verweis an die „moralische Verpflichtung“ an Siemens. Und da haben sie einen Verbündeten – die Politik.

„Ich habe mit Siemens-Chef Klaus Kleinfeld telefoniert und ihm ins Gewissen geredet.“

(SPD-Vorsitzender Kurt Beck)

Die Heuchler

Kurt Beck erzählte am Wochenende von einem Telefonat. Er, der Vorsitzende der SPD, habe sich „eingeschaltet“, mit Siemens-Chef Klaus Kleinfeld telefoniert und ihm „ins Gewissen geredet“. Er habe von ihm „Zusagen“ erhalten, freilich „unter einem Rechtsvorbehalt“, sagte Beck.

Man hätte danach einfach gerne mal die Version von Klaus Kleinfeld gehört. Wie er am anderen Ende der Leitung gezittert hat, als sein Sprecher ihm gesagt hat: „Uhhh, der große Beck, der SPD-Chef aus Rheinland-Pfalz, am Telefon, soll ich sagen, Sie seien im Urlaub, Herr Kleinfeld?“ Becks Strategie ist eindeutig: Er entwirft ein Bild, das der Politik Steuerungsfähigkeit zuschreibt. Doch die Politik hat im Fall Siemens/BenQ vor allem die Moral als Kompagnon. Die Rede ist von „großer Sauerei“ (NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers), von „Anstand verletzt“ (Bayern-Ministerpräsident Edmund Stoiber) und von „ins Gewissen geredet“ (eben Beck). Ja, und nun?

„Die Leute neigen zum Moralisieren“, schrieb Niklas Luhmann, „weil das Moralschema gut/schlecht ihnen eine Chance gibt, sich selbst auf der guten Seite zu platzieren.“ Fehlt also nur noch Franz Müntefering, der vor den „Heuschrecken“ warnt. Aber die Platte hat er ja schon einmal aufgelegt. 2005, im vorgezogenen Wahlkampf, als er mit dem „Heuschrecken“-Bild Gerhard Schröder fast noch einmal zum Kanzler gemacht hätte.

Komisch: Warum nur sind in Umfragen immer 80 Prozent der Befragten der Meinung, dass die Wirtschaft mehr zu sagen hat als die Politik? Weil sie auf das Moral-Spiel nicht reinfallen. Denn wenn die Becks, Rüttgers & Stoibers schon die Moralkarte spielen, dann müssten sie schon ehrlich eingestehen: Sie haben der globalisierten Wirtschaft in ihrem beschränkten, nationalstaatlichen Handlungsrahmen tatsächlich nichts zu sagen.